Nach 389 Tagen endet die Jahrhundertexpedition der „Polarstern“ erfolgreich in Bremerhaven
Nach über einem Jahr in der zentralen Arktis ist das Forschungsschiff „Polarstern“ des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) am 12.10.2020 in seinen Heimathafen Bremerhaven zurückgekehrt. „Begleitet von einer Begrüßungsflotte entgegenkommender Schiffe lief die Polarstern mit dem Morgenhochwasser gegen 9:00 Uhr über die Nordschleuse ein. Expeditionsleiter Markus Rex, Kapitän Thomas Wunderlich und das Team des finalen Expeditionsabschnitts wurden unter anderem von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und der Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Antje Boetius, in Empfang genommen“, so die Internetseite des AWI.
Damit endet eine Expedition der Superlative: Nie zuvor war ein Eisbrecher im Winter in der Umgebung des Nordpols, konnten internationale Forschende so umfassend dringend benötigte Klimadaten in der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Region sammeln. Festgefroren an einer Eisscholle trotzten sie extremer Kälte, arktischen Stürmen, einer sich ständig verändernden Meereis-Umgebung – und den Herausforderungen der Corona-Pandemie.
Start am 20. September 2019
Am 20.09.2019 verließ die Polarstern den norwegischen Hafen Tromsø Richtung zentrale Arktis, mitten ins Epizentrum des Klimawandels. Dort ließ sie sich im Eis einfrieren und es begann eine einjährige Drift mit dem Eis über die Polkappe, vollständig den Kräften der Natur ausgeliefert – ihre Route und Geschwindigkeit bestimmte allein die Drift des Eises, getrieben von Wind und Strömung.
Insgesamt 442 wissenschaftliche Fahrtteilnehmende, Polarstern-Crewmitglieder, Nachwuchsforschende, Lehrkräfte und Medienschaffende waren während der fünf Expeditionsabschnitte dabei. Sieben Schiffe, mehrere Flugzeuge sowie mehr als 80 Institutionen aus 20 Ländern beteiligen sich. Die wissenschaftlichen Teilnehmenden der Expedition hatten 37 unterschiedliche Nationalitäten. Ihr gemeinsames Ziel: die komplexen Wechselwirkungen im Klimasystem zwischen Atmosphäre, Eis, Ozean und dem Leben zu erforschen und besser in Klimamodellen darzustellen. Jetzt kommen sie voller Eindrücke aus der sich wandelnden Arktis zurück, mit einem einmaligen Datenschatz, dessen Auswertung und Analyse eine ganze Generation von Klimaforschenden beschäftigen wird.
Selbst als im Zuge der Corona-Pandemie weltweit praktisch alle Expeditionen abgesagt wurden, konnte MOSAiC durch die breite Unterstützung der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft und durch große Kraftanstrengungen des MOSAiC-Teams erfolgreich fortgesetzt werden. Im Frühsommer musste die Polarstern zum Teamtausch die MOSAiC-Scholle und einige autonome Stationen kurzzeitig verlassen. Ein neues Team nahm nach nur vier Wochen die Arbeiten auf der Eisscholle wieder auf und führte die Untersuchungen bis zu ihrem letzten Tag fort, als die Scholle wie vorhergesagt den Eisrand östlich von Grönland erreichte, unter dem Einfluss von Dünung und Wellen zerbrach und damit ihren typischen Lebenszyklus beendete. Um das dann noch fehlende letzte Puzzlestück im vollen Jahresgang des Meereises zu erfassen – das Gefrieren des Eises am Ende des Sommers – stieß die Expedition danach weit nach Norden vor, überquerte den Nordpol und machte in der Umgebung an einer zweiten Eisscholle fest.
Trotz aller Herausforderungen erreichte die MOSAiC-Expedition damit erfolgreich ihr Ziel: über einen vollen Jahresverlauf hinweg das Epizentrum des Klimawandels präziser zu erforschen, als es jemals zuvor möglich war – und damit das Wissen um das Klimasystem der Erde und seine Veränderungen um einen entscheidenden Schritt weiterzubringen. Insgesamt kostete die Expedition rund 150 Millionen Euro, von denen Deutschland etwa zwei Drittel übernommen hat.
22.08.2020: Wenig Eis – Polarstern überraschend schnell am Nordpol: Forschungseisbrecher überquert auf finalem Expeditionsabschnitt nördlichsten Punkt der Erde – Am 19.08.2020 um 12:45 Uhr erreichte der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern den Nordpol. Dabei hat das Schiff eine Route nördlich Grönlands genommen – durch ein Seegebiet, das in der Vergangenheit von dichter Bedeckung mit teilweise mehrjährigem Eis geprägt war. Die Reise von der nördlichen Framstraße bis zum Pol hat lediglich sechs Tage gedauert. “Es war ein unglaublich schneller Ritt”, sagte Expeditionsleiter Markus Rex. Die Freude der Forscher über diesen Höhepunkt ihrer einjährigen Expedition ist allerdings getrübt, zeigt ihre Reise doch, wie stark das Meereis in der Arktis zurückgeht (mehr auf: solarify.eu/wenig-eis-polarstern-ueberraschend-schnell-am-nordpol).
Anja Karliczek, Bundesforschungsministerin:
„MOSAiC, die größte Arktisexpedition aller Zeiten, ist ein historischer Meilenstein für die Klimaforschung. Während ihrer langen Zeit im arktischen Eis haben die Forscherinnen und Forscher einen einmaligen Datenschatz gehoben, von dem noch Generationen nach uns profitieren werden. Denn die dort im Epizentrum des Klimawandels gewonnenen Daten werden helfen, entscheidende Wissenslücken aus dieser Region zu schließen. Dadurch können wir Klimamodelle präzisieren und neu bewerten. Nur, wenn wir wissen, wie sich das Klima in der Arktis entwickelt, sind wir in der Lage, auch bei uns in Deutschland Vorsorge gegen Klimaveränderungen zu treffen und effektiv dem Klimawandel entgegenzuwirken.“
Prof. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung:
„Mit der MOSAiC-Expedition haben wir uns auf die Spuren des norwegischen Polarforschers Fridtjof Nansens begeben, der vor gut 125 Jahren die erste Eisdrift durch den Arktischen Ozean wagte. Ob er sich hätte vorstellen können wie anders die Arktis heute ist? Und selbst mit den Möglichkeiten der modernen Polarforschung blieb es eine aufregende Expedition, die uns weit über unsere Grenzen des Wissens hinaus gebracht, aber den Teilnehmenden auch viel abgefordert hat, besonders wegen der Pandemie. Heute findet die Expedition ein erfolgreiches Ende, und wir haben ein viel klareres Bild vom Wechselspiel von Eis, Ozean und Atmosphäre der Arktis als je zuvor. Der beispiellose Einsatz von so vielen Unterstützern aus der ganzen Welt ermöglichte uns diesen wissenschaftlichen Durchbruch in der Arktisforschung. Unzählige Proben und Daten haben sie von der einjährigen Drift nach Hause gebracht. Dieser einmalige Datensatz ist ein Geschenk an die ganze Menschheit. Jetzt kommt es darauf an, dass wir das neue Wissen nutzen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen – für die Zukunft der Arktis und damit auch für die Zukunft unseres Planeten.“
Prof. Markus Rex, Expeditionsleiter und Leiter des MOSAiC-Projekts, Alfred-Wegener-Institut:
„Ich bin sehr glücklich über den guten Verlauf und den vollen Erfolg der MOSAiC-Expedition. Wir liefern mit ihr die so dringend benötigen Klimadaten und Beobachtungen, die die Menschheit für drängende tiefgreifende politische Entscheidungen zum Klimaschutz benötigt. Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt. Im Sommer war es von der Wärme selbst direkt am Nordpol völlig aufgeschmolzen und erodiert. Wenn wir die Klimaerwärmung nicht sofort und massiv bekämpfen, wird das arktische Eis im Sommer bald verschwunden sein, mit unabsehbaren Folgen für Wetter und Klima auch bei uns. Im Winter ist die zentrale Arktis zwar auch heute noch eine faszinierende, tief gefrorene Landschaft, aber das Eis ist nur noch halb so dick wie vor 40 Jahren und unsere Temperaturen lagen im Winter fast durchgehend zehn Grad höher, als sie Fridtjof Nansen in seiner bahnbrechenden Arktisexpedition vor gut 125 Jahren erlebt hat.“
„Das arktische Meereis spielt nicht nur eine wichtige Rolle im globalen Klimasystem, es ist auch ein einzigartiges Ökosystem und Basis für das Leben vieler indigener Gesellschaften. Und es ist ein Ort faszinierender und einmaliger Schönheit. Wir sollten alles daransetzen, es für zukünftige Generationen zu erhalten.“
Thomas Wunderlich, Kapitän, Reederei Laeisz
„Auf dem Weg nach Norden hat mich besonders beeindruckt, wie viele offene Wasserflächen und damit leicht zu durchfahrendes Eis wir selbst um den Nordpol herum angetroffen haben. Wir sind nicht ein einziges Mal stecken geblieben und konnten nördlich von Grönland eine Route nutzen, die man bisher immer besser gemieden hat, da dieses Gebiet bekannt ist für massives, schwer zu durchfahrendes Meereis. Trotz der großen Herausforderungen durch die Versorgungen auf See statt in Häfen haben alle Austausche bemerkenswert gut geklappt. Ich habe großen Respekt vor der nautischen Leistung der Kapitäne, die dies im Winter während der Polarnacht bei Temperaturen von unter minus 30 Grad gemeistert haben, als selbst die Kräne auf dem russischen Versorgungseisbrecher nur noch eingeschränkt funktionierten. Das besondere Engagement von Crew und Wissenschaft unter diesen Bedingungen verdient eine erfolgreiche Expedition und ich bin froh, dass wir jetzt alle gesund wieder in den Heimathafen zurückgekehrt sind.“
->Quellen: