Wirtschaftsminister in der Kritik

Gutachten mehr als ein Jahr zurückgehalten

Bundeswirtschaftsminister Altmaier ist in heftige Kritik geraten, teils wird gar sein Rücktritt verlangt: Das BMWi hatte im vergangenen Jahr bei den renommierten Unternehmen BET und EY ein Gutachten für das Kohleausstiegsgesetz in Auftrag gegeben. Der brisante Text verschwand Ende November 2019 in einer Schublade des Ministeriums und wurde erst am 16.12.2020 frei gegeben – mehr als ein Jahr später. Herausgebrachte hat das der SPIEGEL, der argwöhnt, die öffentliche Debatte sei „so womöglich manipuliert“ worden.

Mondlandschaft mit Braunkohlebagger in der Ferne – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Laut der Studie hätte die Umsiedlung von fünf Ortschaften am Tagebau Garzweiler II vermieden werden können. Von den rund 1500 Menschen, die einst in den betroffenen Dörfern lebten, sind noch gut 700 übrig; das sorgt für großen Unmut. Der Untersuchung zufolge könnte in Garzweiler II durch den Kohleausstieg nämlich rund ein Drittel der Braunkohle im Boden bleiben, so dass die Dörfer nicht abgebaggert werden müssten.

Aus Sicht von Umweltverbänden belegt das Gutachten, dass die Braunkohle-Betreiber für den Kohleausstieg zu üppig entschädigt werden – so die Rheinische Post. Das Blatt zitiert das BMWi: „Das Wirtschaftsministerium wies die Vorwürfe zurück: ‚Das Gutachten wurde selbstverständlich beim Kohlekompromiss berücksichtigt, war aber nicht allein maßgeblich‘, teilte das Ministerium mit. Es sei ‚aufgrund des methodischen Ansatzes nur eingeschränkt verwertbar‘ gewesen, da von einem anderen Ausstiegspfad aus der Kohle ausgegangen worden sei und nur öffentlich verfügbare Daten verwendet worden seien, keine Unternehmensdaten. Der Erhalt der Dörfer im Rheinische Revier sei eine Annahme der Gutachter gewesen, ‚keinesfalls jedoch eine Aussage oder ein Ergebnis des Gutachtens.‘ Dass das Gutachten erst am Dienstag veröffentlicht worden sei, habe am Abnahme-Prozess gelegen, der ‚Zeit in Anspruch genommen‘ habe.“

Harsche Reaktionen

Karsten Smid von Greenpeace sieht in dem Vorgang „politischen Sprengstoff“: „Wäre diese Analyse rechtzeitig veröffentlicht worden, hätte es eine ganz andere öffentliche Debatte geben können, ob die Dörfer im Rheinland abgebaggert werden und warum der ostdeutsche Kohlekonzern Leag unfassbar viel Geld für’s Nichtstun bekommen soll“.Und weiter: „Minister Altmaier muss jetzt erklären, warum er eine Bestandsgarantie für den klimaschädlichen Tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen per Bundesgesetz erteilt hat. Es ist auch zu klären, warum der Staat der ostdeutschen Leag 1,75 Milliarden Euro Entschädigung zahlen will, obwohl laut Gutachten auf das Unternehmen kaum nennenswerte Folgekosten zukommen. Zu prüfen ist auch, ob die Leag insgesamt nur noch durch diese Staatsgelder am Leben erhalten wird. Der Minister muss jetzt endlich Transparenz seitens des Wirtschaftsministeriums herstellen. Er muss die anstehenden Milliardenzahlungen an die alten Energiekonzerne dringend erneut überprüfen.”

In den Augen von hat die Bundesregierung „durch die Geheimhaltung in der kritischen Zeit der Verhandlungen um das Kohlegesetz die Abgeordneten und die Bevölkerung hinters Licht geführt“. Das Gutachten zeige eindeutig, dass sowohl der Erhalt des Hambacher Waldes als auch die Rettung von fünf Garzweiler-Dörfern möglich wären, würde die Bundesregierung den Empfehlungen der ‚Kohlekommission‘ folgen, so Bandt. „Stattdessen hat sich das Bundeswirtschaftsministerium entschieden, noch mehr Menschen gegen ihren Willen für die Förderung dreckiger Braunkohle umzusiedeln. Anstatt an das Wohl der Anwohnenden und die Folgen für Natur und Klima zu denken, hatte der Bundeswirtschaftsminister offensichtlich einmal mehr nur die Profitgier der Kohleindustrie im Sinn. Diese Manipulation bedeutet einen herben Vertrauensverlust und muss Konsequenzen haben. Wenn Olaf Scholz oder die Spitzenkandidaten der Union im Superwahljahr 2021 ökologisch glaubwürdig sein möchten, müssen sie einen Koalitionsausschuss einberufen und umgehend ein Kohleausstiegsgesetz auf den Weg bringen, was seinen Namen verdient.“

Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin von der Linken forderte den Rücktritt Altmaiers, denn der habe „die Öffentlichkeit getäuscht und das Geschäft von RWE gemacht statt seinem Amtseid zu folgen“. Denn die Studie habe „eindeutig zum Ergebnis“ gehabt, „dass viele Dörfer vor Ort nicht abgebaggert werden müssen und viele Menschen Existenz und Heimat nicht verlieren. Altmaier hat mit seinem undemokratischen Verhalten Zwangsenteignungen legitimiert, die für die Energiesicherheit Deutschlands nicht notwendig sind und allein dem Energieriesen nützen.“ Altmaier müsse „diese Studie gekannt haben“. Aber „ein Wirtschaftsminister, der entscheidende Studien aus seinem Haus zurückhält, um Zwangsenteignungen durchzusetzen, hat das in ihn gesetzte Vertrauen verspielt. Er schadet damit dem Ansehen der Menschen in die Politik. Die Linke im Bundestag fordert darum den Rücktritt von Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Auch muss es eine unabhängige Untersuchung geben, ob bei der Frage der Milliarden-Kohleausstieg-Entschädigungen für die Energiekonzerne der Allgemeinheit durch das Verhalten der Bundesregierung ein finanzieller Schaden entstanden ist.“

Fridays for Future zeigte sich empört: „Demzufolge wurde die öffentliche Debatte um das sogenannte Kohleausstiegsgesetz manipuliert und die Öffentlichkeit wurde gezielt in die Irre geführt“. „Ich habe in den letzten Monaten die Bundesregierung ständig nach dieser Studie gefragt und Anträge nach Informationsfreiheitsgesetz gestellt und bin mit fadenscheinigen Argumenten abgewimmelt worden“, sagte der grüne MdB Oliver Krischer. „Die Gewinninteressen von RWE werden höher gewichtet als die Heimat von Menschen. Das ist an Zynismus nicht zu überbieten“.

Laut energiezukunft hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)  wiederholt darauf hingewiesen, dass RWE in Garzweiler „noch genug Braunkohle abbaggern könnte, ohne weitere Dörfer abzureißen. Doch das für die Planung des Kohleausstiegs zuständige Wirtschaftsministerium ignorierte die Analysen. Nun wurde öffentlich, dass das Wirtschaftsministerium eine eigene Studie in Auftrag gegeben hatte, die zu demselben Ergebnis kam.“

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