Regierung will „Weichen richtig stellen für Dekade der Nachhaltigkeit“

Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickelt – SDSN: „Kein großer Sprung nach vorne“

Weil sich die Bundesregierung nach eigenen Angaben „einer kontinuierlichen Stärkung des Nachhaltigkeitsgedankens in allen Politikfeldern verpflichtet“ fühlt, hat das Kabinett am 10.03.2021 in Berlin eine Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie beschlossenen – darin wird einer Medienmitteilung des Bundespresseamtes zufolge systematisch dargestellt, welche Aktivitäten zur Umsetzung der Strategie in der laufenden Legislaturperiode ergriffen worden sind und welche weiteren Maßnahmen geplant werden. SDSN Deutschland übt verhaltene Kritik (Grafik: Die 17 Sustainable Goals der UN).

Die 17 SDGs – © UN

Damit greife die Bundesregierung die Aufforderung der Vereinten Nationen für eine Dekade des Handelns zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auf. „Um die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie und der Agenda 2030 zu erreichen, müssen wir den Weg einer wirklich anspruchsvollen Transformation gehen, der wichtige Bereiche wie Energie und Klimaschutz, Gesundheit, Kreislaufwirtschaft, Wohnen, Verkehr, Ernährung und Landwirtschaft umfasst,“ betont Bundeskanzlerin Merkel in ihrem Vorwort zur Strategie.

„In Deutschland wollen wir mit der Weiterentwicklung unserer Nachhaltigkeitsstrategie und insbesondere mit Bildung, Forschung und Innovationen den Transformationsprozess voranbringen“, so die Kanzlerin. Die Weiterentwicklung zeigt den Stellenwert, den die Bundesregierung Nachhaltigkeit in allen Politikfeldern beimisst. Sie stellt Entwicklungen und Maßnahmen zu allen 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, den Sustainable Development Goals (SDGs) dar.

Die Weiterentwicklung der Strategie erfolgte zeitlich und inhaltlich vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie. Die Pandemie hat verdeutlicht, welche starken Auswirkungen die Gefährdung eines Nachhaltigkeitsziels – Gesundheit und Wohlergehen – auf alle Lebensbereiche und damit auf alle anderen Nachhaltigkeitsziele haben kann. So haben sich beispielsweise bei der Armutsbekämpfung durch die Pandemie die Herausforderungen verschärft. In anderen Bereichen, etwa bei unserem Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, ist das Bewusstsein für ihre Bedeutung gewachsen und hat zu neuen Debatten über den richtigen Weg in eine nachhaltige Zukunft geführt.
Es geht nun darum, die Weichen richtig zu stellen. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sind und bleiben unser Kompass für eine bessere Welt, global wie national. Deutschland wird sich weiter aktiv für die Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele einsetzen. Die Bundesregierung wird die Arbeiten an der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und ihrer Umsetzung unter Beteiligung aller relevanten Akteurinnen und Akteure engagiert fortführen.

Im Koalitionsvertrag vom März 2018 haben sich CDU, CSU und SPD zur ambitionierten Umsetzung der Agenda 2030 mit ihren 17 globalen Nachhaltigkeitszielen und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung als Maßstab des Regierungshandelns bekannt. Die Agenda 2030 ist Richtschnur deutscher Politik.

In die Erarbeitung der neuen Strategie sind Stellungnahmen der Öffentlichkeit aus einem zweistufigen Dialogprozess seit Oktober 2019 eingeflossen.

Die am 10.03.2021 verabschiedete Strategie knüpft an die im Januar 2017 beschlossene Neuauflage und ihre nachfolgende Aktualisierung vom November 2018 an. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie orientiert sich seitdem an den Zielen der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen. Die Strategie wird seit 2002 in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

„Kein großer Sprung nach vorne, aber Tür zu einem strukturellen Neuanfang“ – SDSN Germany zur Vorlage der neuen Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

„Dies ist kein großer Sprung nach vorne, aber die Bundesregierung öffnet damit die Tür für einen strukturellen Neuanfang zu Beginn der nächsten Wahlperiode“ kommentierte Professorin Anna-Katharina Hornidge, Co-Vorsitzende von SDSN Germany, den Kabinettsbeschluss. Das Deutsche Lösungsnetzwerk für nachhaltige Entwicklung, SDSN Germany, hatte im letzten Jahr fünf Vorschläge zur strukturellen Weiterentwicklung der Strategie und Empfehlungen zur Nachhaltigkeitspolitik im Krisenmodus vorgelegt. „Wir begrüßen, dass unsere Anregung, sich auf sechs Schlüsseltransformationen und fünf übergreifende Hebel zu fokussieren, im Grundsatz aufgegriffen wurde“, unterstrich Professorin Gesine Schwan, ebenfalls Co-Vorsitzende des Netzwerkes.

Als sechs Schlüsseltransformationen identifizierte SDSN Germany:

  1. Energiewende;
  2. Kreislaufwirtschaft;
  3. Bau- und Verkehrswende;
  4. Agrar- und Ernährungswende,
  5. schadstofffreie Umwelt;
  6. menschliche(s) Wohlbefinden und Fähigkeiten, soziale Gerechtigkeit.

Als fünf zentrale Hebel um diese zu ermöglichen empfahl SDSN Germany vor allem in den Blick zu nehmen:

  1. verbesserte Governance;
  2. Gesellschaftliche Mobilisierung und Teilhabe;
  3. Finanzen;
  4. Forschung, Innovation und Digitalisierung;
  5. Internationale Verantwortung und Zusammenarbeit.

Allerdings fehlten in der neuen Strategie, so Schwan weiter, bei wichtigen Hebeln wie Governance, gerade auch in Kommunen und Regionen, gesellschaftliche Mobilisierung und Teilhabe sowie insbesondere auch beim Hebel Finanzen entscheidende neue Schritte. Unbefriedigend sei weiter, dass die Chancen einer gegenseitigen Stärkung von Deutscher Nachhaltigkeitsstrategie und European Green Deal zu wenig genutzt wurden. So habe die deutsche Europapolitik bislang nicht entscheidend dazu beigetragen, den European Green Deal zum Instrument einer umfassenden europäischen Strategie zur Umsetzung der 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung mit ihren 17 Zielen (Sustainable Development Goals, SDGs) zu machen. Umgekehrt fehle dem Entwurf des 24 Milliarden Euro-schweren Deutschen Aufbau- und Resilienzplans (DARP) zur Umsetzung der EU-Mittel im Kontext der Corona-Krise jede Bezugnahme auf die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie.

Damit sei es, so Anna-Katharina Hornidge, trotz zahlreicher Bezugnahmen der neuen Nachhaltigkeitsstrategie auf die Pandemie nicht gelungen, diese wirkungsmächtig als Instrument und Ausdruck der Krisenbewältigung zu gestalten. Hierfür sei auch die Beteiligung der relevanten Nachhaltigkeitsakteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an zentralen wirtschafts- und finanzpolitischen Prozessen wie dem Europäischen Semester nötig. Vergleichbares gelte auch für den Transformationsbereich „Menschliches Wohlbefinden und Fähigkeiten, soziale Gerechtigkeit“. Die Pandemie habe hier Schwachstellen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem offengelegt, die von der Datenlage her in der neuen Nachhaltigkeitsstrategie noch gar nicht angemessen abgebildet werden konnten.

Erfreulich sei, so Hornidge, dass die neue Strategie im Bereich des Hebels „Internationale Verantwortung und Zusammenarbeit“ grundsätzlich alle externen Politikfelder wie z.B. auch die Außen- oder die Handelspolitik anspreche. Internationale Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung dürfe sich heute nicht mehr auf die Entwicklungs- und Schwellenländer beschränken, sondern müsse alle Länder, ärmere wie reichere, ansprechen und auf gegenseitige Wirkung ausgelegt sein. In diesem Zusammenhang begrüßte Hornidge die neuen Indikatoren zu „Nachhaltiger Konsum – Konsum umwelt- und sozialverträglich gestalten“. Damit würden die weltweiten und planetaren Wirkungen inländischer Konsummuster in den Blick genommen. Leider seien hier aber nur graduelle Verbesserungen abgestrebt und keine quantifizierten Zeitziele gesetzt.

In Deutschland begehen wir den Weltüberlastungstag inzwischen bereits jeweils im April eines Jahres. Wir konsumieren und produzieren, als hätten wir drei Erden. Das Ausmaß, in dem wir global die Umwelt in Anspruch nehmen, müssten wir eigentlich umgehend um zwei Drittel reduzieren,“ stellt Hornidge fest. Dies verweise, so Schwan, auf ein weiteres Grundproblem der Strategie: In vielen Bereichen setze sich Bundesregierung in der Nachhaltigkeitsstrategie nur wenig ambitionierte Ziele und bilde auch die Lebenswirklichkeit der Menschen nur unzureichend ab. „Wenn die Strategie beim Indikator ‚Bezahlbarer Wohnraum‘ eine Sonne („Ziel wird (nahezu) erreicht“) scheinen lasse, ist dies genauso unbefriedigend wie die wie die ebenfalls tendenziell heiter bis sonnigen Zahlen bei Armut und Ungleichheit“, so Schwan.

Aus Sicht von Hornidge und Schwan enthält die Strategie an vielen Stellen mühsam erarbeitete Schritte nach vorne. Die strukturelle Anlage der Strategie und ihre Governance müssten allerdings deutlich weiterentwickelt werden. Hierzu müssten die zeitlichen Rhythmen von Nachhaltigkeitsstrategie und politischen Schlüsselprozessen wie den Koalitionsverhandlungen besser verknüpft werden. Deshalb sei zu begrüßen, dass der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung noch in dieser Legislatur eine politische Erklärung zu den Perspektiven der Nachhaltigkeitspolitik verabschieden wolle. Diese könnte dann, so die Ansicht der Bundesregierung, zu einem Grundsatzbeschluss zur Strategie nach der Regierungsbildung in der neuen Legislatur führen. Hornidge und Schwan: „Die Tür zu einer wirksameren Nachhaltigkeitspolitik wurde damit ein klein wenig mehr geöffnet.“

Die Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie löst die 2016er Fassung der Strategie ab, die sich erstmals an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) orientierte. Die SDGs wurden 2015 bei den Vereinten Nationen von allen Staats- und Regierungschefs der Welt beschlossen (2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung) und gelten in allen Ländern. Die Bundesregierung beabsichtigt, noch in diesem Jahr dem Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) der Vereinten Nationen ihren zweiten Freiwilligen Bericht zur Umsetzung der 2030 Agenda vorzulegen.

Das UN Sustainable Development Solutions Network (SDSN) mobilisiert wissenschaftliche und technische Expertise aus der Wissenschaft, Zivilgesellschaft und dem Privatsektor zur Unterstützung der Problemlösung für nachhaltige Entwicklung auf der lokalen, nationalen und internationalen Ebene. SDSN arbeitet seit 2012 unter der Schirmherrschaft des UN-Generalsekretärs. SDSN bildet nationale und regionale Netzwerke aus Wissensorganisationen, lösungsorientierte thematische Netzwerke und die SDG Academy, eine Online Universität für nachhaltige Entwicklung

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