BMU: „10 Jahre Fukushima – Deutschlands Einsatz für Atomausstieg geht weiter“

Bundesumweltministerin legt 12 Punkte für Vollendung des Atomausstiegs vor – Lob von Greenpeace

Zum zehnten Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze „12 Punkte für die Vollendung des Atomausstiegs“ vorgelegt. Das Papier beschreibt, welche weiteren Schritte auch nach dem Abschalten der letzten deutschen Atomkraftwerke Ende 2022 nötig sind, um die nuklearen Risiken für Deutschland zu minimieren. Enthalten sind Maßnahmen und Positionierungen in Deutschland, auf EU-Ebene und international. Diskutiert wird die Position des BMU heute bei der BMU-Konferenz „Atomkraft 10 Jahre nach Fukushima“, an der neben Ministerin Schulze auch ihre Amtskolleginnen Tinne van der Straeten aus Belgien und Leonore Gewessler aus Österreich teilnehmen.

Energie-Mix - AKW Philippsburg, PV und Hochspannungsmasten - Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Das AKW Philippsburg ging als letztes vom Netz, PV und Hochspannungsmasten – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Bundesumweltministerin Schulze: „Mit dem Abschalten der letzten deutschen Atomkraftwerke erreichen wir nächstes Jahr ein historisches Ziel. Es ist damit gelungen, einen gesellschaftlichen Großkonflikt zu befrieden und die Atomrisiken für Deutschland schrittweise deutlich zu reduzieren. Das ist auch vielen tausend Menschen zu verdanken, die sich immer wieder für Atomausstieg und Energiewende stark gemacht haben. Doch es bleiben nukleare Risiken, die weitere konsequente Schritte erfordern: in Deutschland, in Europa und weltweit. Unsere Arbeit ist mit dem deutschen Atomausstieg Ende 2022 nicht beendet. Im Gegenteil: Mein Ministerium und ich arbeiten mit voller Kraft weiter, um den Atomausstieg in Deutschland konsequent zu vollenden, Atomrisiken in Europa zu reduzieren und die nukleare Sicherheit weltweit zu erhöhen.“

Zur Vollendung des deutschen Atomausstiegs gehört nach Ansicht von Ministerin Schulze auch die Schließung der hiesigen Atomfabriken in Gronau und Lingen. Ein entsprechender Vorstoß des BMU fand in dieser Legislaturperiode nicht die nötige Unterstützung in der Bundesregierung. Ein reines Exportverbot in grenznahe Alt-AKW ist nicht rechtssicher möglich. „Unser Atomausstieg ist nicht mit der Produktion von Brennstoff und Brennelementen für Atomanlagen im Ausland vereinbar. Die Schließung wurde damals beim Ausstiegsbeschluss versäumt. Sie jetzt nachzuholen ist der rechtssichere und richtige Weg, um diesen Zustand zu beenden“, so Schulze.

Auf europäischer Ebene will das Bundesumweltministerium künftig verstärkt den Schulterschluss mit anderen atomkritischen Staaten suchen. Angesichts der anstehenden Laufzeitverlängerungen in mehreren europäischen Ländern kündigte Schulze eine klare internationale Positionierung und eine stärkere Unterstützung der Bundesländer in Grenzregionen an. „Ich respektiere den Grundsatz nationaler Energiesouveränität. Aber mir bereitet die zunehmende Überalterung der europäischen Atomkraftwerke große Sorge. Gegen AKW-Alterung lässt sich nur punktuell etwas machen, nicht umfassend. Darum lehnt die Bundesregierung Laufzeitverlängerungen von AKW ab“, sagte Schulze. Die Bundesregierung könne sie letztlich nicht verhindern, werde sich aber wo immer möglich dafür einsetzen, dass Transparenz hergestellt und Beteiligungsmöglichkeiten der angrenzenden Staaten und deren Bevölkerung gewahrt würden.

Im Dezember war es unter deutscher Beteiligung gelungen, im Rahmen der Espoo-Konvention einen verbindlichen Leitfaden zu verabschieden, der festlegt, unter welchen Bedingungen grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) bei AKW-Laufzeitverlängerungen durchgeführt werden müssen. Zuständig für eine Beteiligung an derartigen ausländischen UVP-Verfahren sind in Deutschland die Landesbehörden. Das BMU will künftig diese Behörden fachlich stärker unterstützen, wenn sie sich an diesen Prüfungen beteiligen.

Auf internationaler Ebene wird sich das BMU auch nach Abschaltung der letzten deutschen AKW für höchste Sicherheitsstandards einsetzen. Ähnliches gilt für die Atomhaftung, wo in vielen Ländern – anders als in Deutschland – noch kein Prinzip der unbegrenzten Betreiberhaftung gilt. Wichtige Voraussetzung für ein wirksames Eintreten für höchste Standards ist der Kompetenzerhalt in Deutschland. „Deutschland soll sich auch ohne eigene AKW weiterhin engagiert in den internationalen Atom-Diskurs einbringen können. Es kursieren viele Mythen zur Atomkraft, denen wir mit validen Fakten auf dem neuesten Stand begegnen wollen“, so Schulze.

Eine klare Absage erteilte Schulze Forderungen, für den Klimaschutz auf Atomkraft zu setzen. „Das wäre ein fataler Irrtum. Keine Klimaschützerin, kein Klimaschützer sollte sich auf Atomkraft als Lösung für den Klimaschutz verlassen.“ Wenn man Folgekosten und Risiken einrechne, sei sie die teuerste Option zur Stromgewinnung. Neubauprojekte seien nicht nur zu teuer, sondern dauerten auch viel länger als man sich angesichts der Klimakrise erlauben könnte. Zudem produzierten sie Müll für 30.000 Generationen. „Das ist alles andere als nachhaltig – zumal es mit den erneuerbaren Energien wesentlich günstigere, sichere und nachhaltige Energietechnologien gibt.“

Lob von Greenpeace

Zum zehnten Jahrestag der Atomkatastrophe in Fukushima hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) heute ein Zwölf-Punkte-Papier zum Atomausstieg vorgelegt. Es soll sicherstellen, dass der Ausstieg umfassend und sicher sei. Es kommentiert Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace:
“Der Plan ist gut: Endlich stehen auch die Atomfabriken in Gronau und Lingen im Fokus. Nur wenn in Deutschland nicht weiter Atombrennstoff hergestellt wird, der in europäischen Ländern genutzt wird, steigt Deutschland tatsächlich aus der Hochrisikotechnologie Atomenergie aus. Svenja Schulzes Forderung, die Brennstoffproduktion in Deutschland zu beenden, ist die konsequente Reaktion auf die Tatsache, dass Atomkraft eine grenzüberschreitendes Risiko ist. Fukushima und Tschernobyl haben das deutlich gezeigt. Jedes Land, dass an den atomaren Lieferketten beteiligt ist, trägt somit auch Verantwortung für mögliche Unfälle. Selbst wenn Entschädigungszahlungen an die Betreiber der Deutschen Atomanlagen in Gronau und Lingen gezahlt werden müssten, wäre dies auch für eine kommende Regierung allemal günstiger als ein Atomunfall mit europaweiten Auswirkungen.
Der 12- Punkte- Plan ist die Messlatte für jede künftige Bundesregierung, gerade wenn die Grünen daran beteiligt wären.”

Im Wortlaut: Die 12 Punkte

  1. Atomfabriken in Lingen und Gronau schließen – Das Bundesumweltministerium ist der Auffassung, dass der Atomausstieg in Deutschland nicht mit der Produktion von Brennelementen für Atomanlagen im Ausland vereinbar ist. Deshalb setzt es sich für die Schließung der Anlagen in Lingen und Gronau ein, die in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden muss. Nach Gutachten im Auftrag des BMU wäre eine Schließung rechtssicher möglich. Ein entsprechender Vorstoß des BMU fand in dieser Legislaturperiode allerdings nicht die notwendige Unterstützung in der Bundesregierung. Nach Auffassung des BMU ist eine gesetzliche Regelung zur Beendigung der Brennelementfabrikation in Deutschland und des Betriebs der Urananreicherungsanlage in Gronau die rechtssichere, richtige Lösung, um die untragbare Situation zu beenden, dass grenznahe ausländische Alt-AKW mit Brennelementen aus deutscher Produktion betrieben werden.
  2. Erneuerbaren-Ausbau beschleunigen, damit Wind und Sonne schneller Atom und Kohle ersetzen – Seit dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie nach dem Reaktorunglück in Fukushima ist die Strommenge aus Atom- und Kohlekraftwerken in Deutschland auf die Hälfte zurückgegangen – gleichzeitig hat sich die Strommenge aus erneuerbaren Energien verdoppelt. Die erneuerbaren Energien haben damit unter Beweis gestellt, dass sie die alte Energiewelt aus Atom und Kohle ersetzen können und für eine nachhaltige, sichere, saubere und in die Zukunft gerichtete Energieversorgung auch in einem Industrieland wie Deutschland stehen. Aus Sicht des BMU muss Ziel sein, alle wegfallenden konventionellen Strommengen durch erneuerbare Energien zu ersetzen, denn nur das ist nachhaltig. Das heißt, mit den bislang geplanten EE-Strommengen war es möglich, den Atomstrom und die deutlich zurückgehende Kohlestrommenge entsprechend den Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ zu ersetzen; jetzt gilt es, konsequent den nächsten Schritt zu gehen und angesichts eines höheren EU-Klimaziels beim Ausbau der erneuerbaren Energien die Anstrengungen bis 2030 zu verdoppeln. Das wäre ein glaubwürdiger und vernünftiger Pfad hin zu unserem Ziel, in Deutschland und auf EU-Ebene bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral zu sein.
  3. Entsorgung hochradioaktiver Abfälle mit der bestmöglichen Sicherheit entschlossen voranbringen – Die Lösung des Atommüllproblems ist eine gewaltige Aufgabe – eine gesamtgesellschaftliche. Mit dem Beschluss zum Ende der Nutzung der Atomenergie wurde auch der Weg für den Neustart der Endlagersuche frei: Die Suche nach einem Standort für die Lagerung der hochradioaktiven Abfälle ist mit der Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes rechtlich verankert. Das Verfahren läuft wissenschaftsbasiert und transparent nach vorher festgelegten Kriterien ab. Es soll partizipativ, d. h. mit breiter Beteiligung der Öffentlichkeit gestaltet werden. Dafür sieht das Standortauswahlgesetz eine Vielzahl von Formaten zur Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Mit der Endlagersuche sind wir auf dem richtigen Weg, den wir konsequent weitergehen werden, auch wenn dieser Weg langwierig, aufwändig und am Ende auch Geld kosten wird. Einen geeigneten Standort zu finden, der die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren bietet, die hochradioaktiven Abfälle zu lagern, ist eine enorme Herausforderung. Für die Entsorgung dieser Abfälle gibt es eben keine einfachen Lösungen. Zwar gibt es auch in anderen Ländern Vorhaben für die Entsorgung der nuklearen Abfälle, wie z. B in Finnland, Frankreich und der Schweiz, aber weltweit ist bisher noch kein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb genommen worden. Deutschland ist mit dem jetzigen Stand der Endlagersuche bei der Lösung des Atommüllproblems bereits weiter als viele andere Länder mit Atomkraftwerken. Das BMU wird weiterhin alles dafür tun, dass das Standortauswahlverfahren in einem Jahrzehnt zu einem tragfähigen Abschluss kommt. Das sind wir nicht zuletzt den Menschen, die heute in der Nähe von Zwischenlagern leben, schuldig.
  4. Mehr Information und mehr Bürgerbeteiligung ermöglichen – Bei der Suche nach einem Standort für die Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle gehen wir in Deutschland neue Wege. Dazu gehört, dass der Prozess der Standortsuche partizipativ, d. h. mit breiter Beteiligung der Öffentlichkeit gestaltet werden soll. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit ist auch bei anderen Vorhaben geboten, z. B. bei den Zwischenlagern für hochradioaktive Abfälle, für deren Genehmigung eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben ist. Die Betriebsgenehmigungen für die Zwischenlager laufen alle sukzessive aus, bevor ein betriebsbereites Endlager zur Verfügung steht. Deshalb muss eine Anschlussregelung unter Beteiligung der Öffentlichkeit erfolgen. Das BMU wird seinen Einsatz für Aufklärung und Information der Öffentlichkeit zudem verstärken. Das BMU informiert auf seiner Website und auf sonstige vielfältige Weise – wie zum Beispiel über ein mit den Bundesländern geschaffenes Informationsportal – über nukleare Sicherheit, um der Öffentlichkeit den Zugang zu Informationen zur nuklearen Sicherheit zu erleichtern. Diese Information ist umso wichtiger, da nach dem absehbaren Ende der Nutzung der Atomenergie in Deutschland die Probleme und Risiken der Atomkraft nicht mehr so intensiv diskutiert werden wie noch vor einigen Jahren. Auf der anderen Seite rüsten die Befürworter der Atomenergie verbal auf: Die Atomenergie wird als eine Technologie, die im Betrieb CO2-arm sei, als „nachhaltige“ Technologie angepriesen, die notwendig sei, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Neue Konzepte wie SMR (Small Modular Reactors) und weiter entwickelte Reaktorlinien werden als inhärent (nahezu) unfallfrei und beherrschbar deklariert. Die Fakten sprechen klar gegen diese Behauptungen. Auch bei neuen bzw. vermeintlich neuen Nukleartechnologien müssendie enormen Risiken und Gefahren der Atomkraft klar aufgezeigt werden. Das BMU wird seine Informationsangebote daher ausbauen. Wir möchten noch mehr Bürgerinnen und Bürger erreichen. Dazu gehört auch, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler fachlich fundierte und gut verständliche Informationen an die Hand zu geben.B. Atomrisiken in Europa reduzieren, Kooperationen stärkenDeutschland stärkt mit seinem Ausstieg den Kreis der atomkritischen EU-Mitgliedstaaten. Die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten hat ohnehin nie auf die Nutzung der Atomkraft gesetzt. So sind Nachbarländer wie Österreich, Luxemburg und Dänemark gar nicht erst in die Atomkraft eingestiegen. Andere wie Belgien haben auch Ausstiegsbeschlüsse, mit konkreten Abschaltdaten für die laufenden Reaktoren. Spanien prüft den Ausstieg. Italien und Litauen haben sich nach dem Reaktorunglück in Fukushima gegen einen Wiedereinstieg entschieden. Selbst das atomkraftbefürwortende Frankreich will seinen Anteil der Atomenergie an der Stromversorgung auf 50 Prozent herunterfahren und hat nach der Abschaltung des AKW Fessenheim weitere Abschaltungen beschlossen. Wenn die letzten deutschen Atommeiler Ende 2022 abgeschaltet sind, werden weniger als die Hälfte der 27 EU-Mitgliedstaaten Atomstrom produzieren.
  5. Den Schulterschluss der atomkritischen Staaten suchen – Das Bundesumweltministerium wird mit gleichgesinnten Staaten in Europa aktiv dafür werben, dass sich weitere Länder dem Kurs des Ausstiegs aus der Atomenergie anschließen. Wir setzen uns auch weiterhin in jedem Einzelfall dafür ein, dass die Zielbestimmungen des Euratom-Vertrages hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie an die Herausforderungen der Zukunft angepasst werden. Staatlich geförderte AKW-Neubauten in der EU sind nicht im deutschen Interesse und auch nicht im Sinne von Klimaschutz und Energiewende. Atomenergie ist wirtschaftlich nicht mehr rentabel, sie ist CO2-arm, aber nicht sauber, und sie birgt unvermeidbare Restrisiken. Die Folgekosten sind immens und belasten nachfolgende Generationen. So ist die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aufwändig, langwierig und teuer. Wir haben in der EU konkrete Gemeinschaftsziele für die Verbesserung von Energieeffizienz und für den Ausbau erneuerbarer Energien.
  6. Sicherheitsrisiko AKW-Überalterung: Eintreten gegen Laufzeitverlängerungen und Einfordern von Beteiligung – Jeder Staat entscheidet seine Energieversorgung souverän. Das respektieren wir. Der Reaktorunfall in Tschernobyl hat jedoch eindrucksvoll gezeigt, dass bei einem Atomunfall Auswirkungen auf Mensch und Umwelt in weit entfernten Staaten auftreten können. Wir werden uns daher weiter für ein Höchstmaß an nuklearer Sicherheit einsetzen – auf europäischer und internationaler Ebene. Sorge bereitet uns vor allem die zunehmende Überalterung vieler Reaktoren, weit über eine Auslegungsbetriebsdauer von zumeist 40 Jahren. Mitte dieses Jahrzehnts wird bereits über die Hälfte der heute bestehenden Kraftwerkskapazität in der EU aus sogenanntem Langzeitbetrieb stammen. Gegen AKW-Alterung lässt sich nur punktuell etwas machen, nicht umfassend. Es gibt technische und wirtschaftliche Grenzen der Nachrüstbarkeit – so lässt sich etwa ein versprödeter Reaktordruckbehälter nicht austauschen. Die Bundesregierung lehnt deshalb Laufzeitverlängerungen von AKW ab. Das Bundesumweltministerium setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass bei Laufzeitverlängerungen Transparenz hergestellt und Beteiligungsmöglichkeiten der angrenzenden Staaten und deren Bevölkerung gewahrt werden; es sollte zumindest eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchgeführt werden. Dank zielstrebiger Verhandlungen gelang es unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft im Dezember 2020, zur Espoo-Konvention über grenzüberschreitende UVP einen völkerrechtlich verbindlichen Leitfaden zu verabschieden, der klarstellt, unter welchen Voraussetzungen bei Laufzeitverlängerungen eine UVP geprüft und durchgeführt werden muss. Der Espoo-Konvention gehören 45 Staaten an. Der Leitfaden macht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken, die unter bestimmten Bedingungen eine UVP-Pflicht auch bei Laufzeitverlängerungen klarstellt, zum allgemeinen Maßstab und damit auch für Nicht EU-Mitgliedstaaten mit alten AKW – wie die Schweiz, Großbritannien, Ukraine und Belarus – bindend. Dabei will BMU künftig Landesbehörden, die sich gemäß deutschem UVP-Recht als zuständige Behörden an grenzüberschreitenden Verfahren beteiligen, fachlich stärker unterstützen.
  7. Kein öffentliches Geld für Atomkraftwerke in der EU und darüber hinaus – Das Bundesumweltministerium wird sich weiterhin konsequent gegen einen europäischen Förderrahmen, Leitlinien oder europäische Förderinstrumente aussprechen, die Atomkraft als förderfähig ansehen. Wir lehnen die Subventionierung von AKW mit EU-Mitteln sowie jedwede öffentliche Förderung von AKW-Neubauten ab, auch in Form von Exportgarantien. Aus Sicht des BMU sollten ausschließlich grüne, sichere und nachhaltige Technologien von der EU finanziert werden, um erneuerbare Energien zur Erreichung der Klimaziele und um die Dekarbonisierung europaweit voranzubringen. Das BMU ist davon überzeugt, dass Atomkraft unter anderem wegen der ungelösten Endlagerproblematik nicht nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie sein kann und dass Atomkraft durch die Anforderungen in der Taxonomie-Verordnung folgerichtig ausgeschlossen ist. Das BMU setzt sich dafür ein, dass bei der laufenden EU-Beihilfereform die Interessen der Mitgliedstaaten der EU, die aus der Atomenergie aussteigen wollen oder ausgestiegen sind, umfassend berücksichtigt werden. Atomenergie ist kein geeigneter Weg zur Erreichung der Klimaschutzziele – auch nicht als Brückentechnologie. Unter Berücksichtigung der Folgekosten und Risiken ist Atomkraft sogar die teuerste Option zur Stromgewinnung. Mit erneuerbaren Energien stehen wesentlich günstigere, sichere und nachhaltige Energietechnologien zur Verfügung. Besonders in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern würden AKW-Neubauten über Jahrzehnte finanziell angespannte Staatshaushalte schwerwiegend belasten und Ressourcen binden, die anderweitig für eine zukunftsfeste Energieversorgung gebraucht werden. Im Kampf gegen den Klimawandel ist keine Zeit mehr für die langwierigen Planungs- und Bauphasen von AKW, die mit ihrem Kühlwasserbedarf zudem nicht klimaresilient sind. Die Liste gravierender Nachteile ließe sich fortsetzen. Aus diesen Gründen schließt die bilaterale Entwicklungsfinanzierung Deutschlands durch die KfW die Förderung von Projekten der Atomenergienutzung aus. Auch die multilateralen Entwicklungsbanken finanzieren keine Atomprojekte jenseits des Rückbaus. Das BMU wird sich weiter dafür einsetzen, dass Entwicklungsbanken auch weiterhin keine Atomenergieprojekte fördern.
  8. Grenznahe AKW – bilaterale Kommissionen stärken – Das Bundesumweltministerium hat mit allen Nachbarstaaten, die AKW betreiben, bilaterale Nuklearkommissionen eingerichtet, so mit Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Tschechien und der Schweiz. In diesen Kommissionen findet ein regelmäßiger Austausch zu Fragen der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes statt. Dieser kontinuierliche Austausch schafft Vertrauen – eine unverzichtbare Grundlage für eine effektive nachbarschaftliche Zusammenarbeit. Diese Kooperation wollen wir festigen. Vor allem wollen wir aber auch weiterhin genau hinschauen und bei Bedarf solange kritisch nachfragen, bis unsere Fragen zu unserer Zufriedenheit geklärt sind. Wir wollen die bilateralen Nuklearkommissionen ausbauen, vertiefen und stärken. Gerade auch mit Blick auf die Zeit nach dem Abschalten des letzten deutschen Atomkraftwerks bis spätestens Ende 2022.
  9. Den radiologischen Notfallschutz auch nach dem deutschen Ausstieg auf hohem Niveau fortführen und international besser vernetzen – Das Reaktorunglück in Fukushima 2011 hat auf eindringliche Weise deutlich gemacht, dass der radiologische Notfallschutz ein elementarer Bestandteil staatlicher Sicherheitsarchitektur sein muss, um auf Gefahren, die aus der kommerziellen Nutzung von Atomkraft resultieren können, schnell, kompetent und zielgerichtet reagieren zu können. So führten die Ereignisse in Japan zu einer Überprüfung bestehender Strukturen in Deutschland und im Ergebnis zu wesentlichen Änderungen und Innovationen im Notfallschutz. Als Konsequenz aus dem Reaktorunglück in Fukushima hat die Bundesregierung auf Initiative des BMU ein neues umfassendes Notfallmanagementsystem des Bundes und der Länder im neuen Strahlenschutzgesetz 2017 verankert. Im Bundesumweltministerium ist ein neues Radiologisches Lagezentrum des Bundes eingerichtet worden, damit eine koordinierte einheitliche Reaktion auf einen radiologischen Notfall gewährleistet ist. Die Erfahrungen aus der Katastrophe von Fukushima waren ein Meilenstein und Ausgangspunkt für erhebliche Verbesserungen des Notfallmanagementsystems des Bundes und der Länder. Die bisherigen Erkenntnisse, u. a. aus regelmäßigen Übungen und Evaluierungen, zeigen deutlich auf, dass mit der Etablierung des Radiologischen Lagezentrums und dem einheitlichen Radiologischen Lagebild die Reaktionsfähigkeit Deutschlands auf radiologische Notfälle auf einem sehr soliden Fundament steht. Vor allem mit der Etablierung des Allgemeinen Notfallplans und den ressortübergreifenden Besonderen Notfallplänen des Bundes und der Länder werden in Deutschland Vorbereitungen weiter vorangetrieben, um auf einen radiologischen Notfall in allen wesentlichen Sachbereichen gesamtstaatlich vorbereitet zu sein. Hieran werden wir stetig arbeiten und das hohe Niveau weiter ausbauen. Denn auch nach dem Ausstieg aus der Atomenergienutzung in Deutschland bleiben der Betrieb von Atomkraftwerken in Europa und damit das Risiko eines schweren Unfalls mit erheblichen Auswirkungen auf Deutschland bestehen. Das BMU ist deswegen sowohl bi- als auch multilateral mit unseren Nachbarn im intensiven Kontakt, um durch eine starke internationale Kooperation die Notfallschutzplanung auch grenzüberschreitend abzustimmen. Zentral dafür ist, dass die zu treffenden Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung im Falle eines Unglücks auf beiden Seiten der Grenzen möglichst einheitlich ergriffen werden.C. Die nukleare Sicherheit weltweit erhöhen, Kompetenz erhalten und sachgemäß informieren
  10. Weltweiter Einsatz für hohe Sicherheitsstandards – Deutschland setzt sich dafür ein, dass weltweit für AKW die höchsten Sicherheitsstandards gelten. Dafür werden wir uns auch weiterhin in den europäischen und internationalen Gremien engagieren, auch wenn die letzten AKW in Deutschland abgeschaltet sind. Wir verfolgen kontinuierlich die nuklearpolitische Situation in unseren Nachbarländern und anderen Staaten und bringen unser Sicherheitsverständnis ein. Das tun wir insbesondere im Rahmen der jeweiligen bilateralen Zusammenarbeit, aber auch in den maßgeblichen europäischen und internationalen Gremien, in denen Fragen der nuklearen Sicherheit erörtert werden. Dabei respektieren wir, dass die Verantwortung für die sicherheitstechnische Bewertung von AKW ausschließlich bei der jeweils zuständigen nationalen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde liegt. Nur dieser liegen alle für eine umfassende sicherheitstechnische Bewertung notwendigen Informationen vor. Wie wichtig derartiges Engagement ist, zeigt der gravierendste Atomunfall seit Fukushima, der sich trotz aller Bemühungen nicht vollständig aufklären ließ. Ende September 2017 kam es zu einer erheblichen Freisetzung des radioaktiven Isotops Ruthenium-106; Indizienlage und Analysen deuten auf einen Freisetzungsort im südlichen Ural hin. Deutschland hat sich wie kein zweiter Staat bei den Arbeiten zur Aufklärung engagiert und war eine treibende Kraft sowohl in der internationalen Untersuchungskommission als auch im Rahmen von Veranstaltungen internationaler Organisationen zu diesem Thema, um Fortschritte bei der Aufklärungsarbeit zu erzielen. Wichtige Erkenntnis dabei: Eine Aufklärung in Bezug auf den genauen Ort einer Freisetzung oder gar dessen Ursache erweist sich als nahezu aussichtslos, wenn ein vermeintlich verursachender Staat angibt, dass ihm kein entsprechendes Freisetzungsereignis in seinen kerntechnischen Anlagen bekannt sei. Aus Sicht des BMU muss für etwaige zukünftige vergleichbare Ereignisse, bei denen Unklarheit über einen Verursacher und Ort einer Freisetzung besteht, die internationale Gemeinschaft schneller reagieren können, damit Informationen über Messwerte und weitere Erkenntnisse unverzüglich über die etablierten Informationssysteme ausgetauscht werden können.
  11. Verbesserung der Atomhaftung – Schadensvorsorge und Opferschutz haben für uns Priorität – Deutschland gehört weltweit zu den wenigen Staaten, in denen Atomkraftwerksbetreiber bei einem nuklearen Schadensfall unbegrenzt – d.h. mit ihrem gesamten Betriebsvermögen – für hieraus entstandene Schäden haften. In den meisten anderen Staaten, in denen Atomkraftwerke betrieben werden, ist die Haftung von Atomkraftwerksbetreibern im nuklearen Schadensfall demgegenüber summenmäßig begrenzt. Zur Verbesserung des Opferschutzes setzt sich Deutschland im Rahmen der bestehenden völkerrechtlichen Instrumente für die unbegrenzte Betreiberhaftung ein.
  12. Kompetenz erhalten und solide Fakten in den internationalen Atom-Diskurs und zu neuen Reaktorkonzepten einbringen – Auch nach dem Abschalten der letzten deutschen Atomkraftwerke muss eine auf nukleare Sicherheit ausgerichtete Kompetenz- und Nachwuchsentwicklung erhalten werden. Das BMU und das BMWi haben hierfür in gemeinsamer Federführung unter Mitwirkung des BMBF ein Konzept der Bundesregierung erarbeitet. Dabei wurden auch die perspektivischen Bedarfe relevanter Akteure (Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder, Sachverständigenorganisationen, Beratungsgremien, Betreibergesellschaften, Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Industrie) berücksichtigt. Das im August 2020 vom Kabinett beschlossene Konzept formuliert konkrete Maßnahmenkataloge. Diese betreffen folgende Bereiche: Ausbildung und Lehre; Fort- und Weiterbildung; Forschung und Entwicklung; Wissenserhalt, Gremienarbeit und Netzwerke; Internationale Vernetzung und grenzüberschreitende Aktivitäten; Berufliche Perspektiven und Anerkennung im gesellschaftlichen Umfeld.
    Der Kompetenzerhalt ist auch wichtig, damit Deutschland sich weiterhin engagiert in den internationalen Atom-Diskurs einbringen kann und den teils kursierenden Mythen mit validen Fakten auf dem neuesten Stand begegnen kann. Aktuell werden etwa Konzepte wie Small Modular Reactors (SMR) als vermeintlich vielversprechender Beitrag zu einer sicheren, nachhaltigen und generationsgerechten Energieproduktion von Morgen propagiert.
    Die Fakten sehen weitaus nüchterner aus: Technisch sind die Konzepte oft alter Wein in neuen Schläuchen und beruhen auf Ansätzen, die bereits vor Jahrzehnten entwickelt wurden, sich aber in der Praxis auf Grund gravierender und nach wie vor ungelöster Probleme nicht durchsetzen konnten. Darüber hinaus werfen Entwicklung, Bau, Betrieb, Stilllegung und Entsorgung von SMR – im Vergleich zu herkömmlichen AKW – zahlreiche weitere ungelöste Fragen und Risiken auf, sowohl im Bereich der nuklearen Sicherheit als auch in den Bereichen Sicherung und Non-Proliferation. Für die oftmals mit SMR verbundenen, weitgehenden Sicherheitsversprechen gibt es bislang keine belastbaren Belege. Auch das ungelöste Problem der Endlagerung bleibt beim Einsatz von SMR bestehen. SMR, die im Wesentlichen auf bestehenden AKW-Konzepten basieren, werden in vergleichbarem Umfang radioaktiven Abfall produzieren. Für neue Reaktorkonzepte gibt es bisher keinen Nachweis, dass die Menge an radioaktivem Abfall erheblich verringert werden könnte. Möglicherweise würde durch den Einsatz von neuen Kühlmedien wie Salzschmelzen oder Blei sogar mehr Abfall produziert.Kurz: SMR verlagern die Nachteile der nuklearen Energieproduktion von (vergleichsweise) wenigen Großanlagen auf viele Kleinanlagen. Unterm Strich werden die Anlagen kleiner, die Probleme in der Summe aber eher größer. SMR sind kein Weg in die Zukunft, sondern in die falsche Richtung. Aus diesen Gründen sprechen wir uns gegen solche Konzepte aus und halten sie auch nicht für förderungswürdig. Es gibt jedoch in verschiedenen Ländern in Europa und weltweit Projekte zum möglichen Einsatz von SMR. Das BMU nimmt daher diese Entwicklung sehr ernst und verfolgt sie ebenso aufmerksam wie kritisch.

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