von Brigitte Knopf – mit freundlicher Genehmigung
Klimaschutz als industriepolitische Chance: Das wird bei den Sozialdemokraten gerade als wichtiges Thema entdeckt. Und das ist auch gut so. Nur sollte man aufpassen, hier nicht auf Dauersubventionen zu setzen. Der Anschub beispielsweise für eine Wasserstoffwirtschaft muss finanziell unterstützt werden, keine Frage, aber das Ganze muss sich in eine breitere und langfristige Perspektive einbetten. Der Herausforderung der Klimaneutralität, die bis 2050 erreicht werden soll, werden wir nur begegnen können, wenn wir einen langfristig verlässlichen, sektorübergreifenden und kosteneffektiven Rahmen schaffen, der die Verteilungskonflikte der Klimapolitik auf einen handhabbaren Rahmen begrenzt. Ein sozialverträglich ausgestalteter CO2-Preis ist dafür eine entscheidende Voraussetzung.
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Erhöhung der Klimaziele in der EU
Durch den Europäischen Emissionshandel gibt es für die Energiewirtschaft und große Teile der Industrie schon seit 2005 einen CO2-Preis in Deutschland und Europa. Darüber hinaus gibt es in Deutschland seit Anfang dieses Jahres erstmalig einen CO2-Preis auch im Verkehrs- und Wärmesektor: Mit dem Klimapaket, das 2019 geschnürt wurde, ist hier eine wichtige Architektur geschaffen worden – auch wenn die Höhe des Preises noch nicht reicht, um die derzeitigen Klimaziele zu erreichen, und es zudem noch an der langfristigen Perspektive fehlt. Denn wie es genau nach 2026 weitergeht, ist noch unklar. Das ist problematisch für Investitionen in eine klimaneutrale Wirtschaft und den Gebäudebestand, denn diese brauchen einen verlässlichen und langfristigen Rahmen.
Und Ende 2020 hat sich die Ausgangslage für die deutsche Klimapolitik noch einmal fundamental verändert: Auf europäischer Ebene wurde eine klimapolitische Zielverschärfung beschlossen. Im Jahr 2030 sollen nun in der EU mindestens 55 Prozent, und nicht 40 Prozent, weniger Treibhausgase emittiert werden als im Basisjahr 1990. Wie das genau umgesetzt wird, muss noch verhandelt werden, mit entsprechenden Vorschlägen der Kommission ist im Sommer zu rechnen.
Umsetzung im bestehenden Rahmen
Wie könnte eine Umsetzung aussehen? Für die Sektoren, die nicht im EU-Emissionshandel sind, gibt es derzeit verbindliche nationale Zielvorgaben. Im Prinzip könnte man in diesem bestehenden Rahmen eine Erhöhung der nationalen Ziele beschließen, also eine neue Lastenteilung in der EU. Das erfordert allerdings einen zähen Verhandlungsprozess und wird politisch von den Staatschefs eher abgelehnt.
Ein zweiter EU Emissionshandel für Wärme und Verkehr
Ein alternativer Ansatz wäre eine grundsätzliche Anpassung der europäischen Klimaschutzarchitektur mit einer Ausweitung der CO2-Bepreisung auf alle Sektoren. Das ginge über die Einbeziehung der Sektoren Wärme und Verkehr in den bestehenden EU-Emissionshandel, allerdings erscheint es politisch und institutionell zu schwierig, sofort einen einheitlichen Preis über alle Sektoren einzuführen. Die Unsicherheit über die Vermeidungskosten für diese Sektoren ist hoch, so dass es angebracht scheint, erst mal auf zwei getrennte Systeme zu setzen. Nach einer Einführungs- und Lernphase könnte dann auf mittlere Sicht das zweite ETS ab 2030 oder etwas später in einen sektorübergreifenden europäischen Emissionshandel überführt werden.
Von daher wäre es ein wichtiger Schritt, wenn die nächste Bundesregierung den nationalen Emissionshandel auf die europäische Ebene hebt: Sie sollte darauf hinwirken, dass neben dem bestehenden EU-Emissionshandel für die Energiewirtschaft und Teile der Industrie ein zweites EU-System für Verkehr und Wärme installiert wird. Es wird einige Zeit dauern, aber 2026 könnte dieser starten – damit hätte das jetzt eingeführte deutsche System auch endlich die nötige verbindliche Perspektive.
CO2-Preis wichtig für die Industriewende
Neben dem langfristigen Investitionsrahmen mit einem wirksamen Preissignal in allen Sektoren sollte der Staat für die Dekarbonisierung der Wirtschaft durchaus zusätzliche Unterstützung leisten: durch die Schaffung geeigneter Infrastruktur, aber auch durch Finanzspritzen für die Einführung neuer Technologien.
In diesem Zusammenhang setzt die Industrie auf die sogenannten Carbon Contracts for Differences (CCfDs). Dieses Instrument funktioniert grob gesagt wie folgt: Der Staat bezahlt den Unternehmen für eine Übergangszeit die Differenzkosten für Investitionen in klimafreundliche Technologien, die sich – wegen des noch niedrigen CO2-Preises – derzeit betriebswirtschaftlich noch nicht rechnen. CCfDs können in der Tat eine wichtige Rolle spielen, aber die Differenzkosten müssen zwingend degressiv gestaltet und daher an steigende CO2-Preise gekoppelt werden. Weiterhin sollten sie mit einem Auslaufdatum versehen werden, sonst droht eine Dauersubvention der Industrie auf Kosten der Staatsfinanzen. Denkbar ist auch die Ausgestaltung als „Industrie-Bafög“: eine Anschubfinanzierung, die später zurückgezahlt werden muss.
Auf die soziale Balance achten
Ein CO2-Preis wird oft mit dem Argument abgewehrt, dass er zu steigenden Lebenshaltungskosten führt. Dabei wird ignoriert, dass natürlich jedes Klimaschutz-Instrument auf die eine oder andere Art Kosten verursacht. Mitunter sind diese verdeckt, treffen aber besonders stark untere Einkommen. Das gilt zum Beispiel für Emissionsstandards bei neuen Autos: Im Schnitt fahren arme Haushalte weniger als reiche Haushalte; daher belastet der Standard arme Haushalte überproportional, weil er den Preis des Autos erhöht – und dies ist bei Menschen, die wenig fahren, der wichtigste Kostenposten. Gleichzeitig profitieren sie von dem Effizienzgewinn durch den Standard nur wenig, weil sie weniger fahren. Wichtig ist daher, von Anfang an eine soziale Abfederung einzubauen. Der Vorteil beim Instrument des CO2-Preises ist: Es gibt Einnahmen, die für Kompensationen von Bürgerinnen und Bürgern und für die Wirtschaft zur Verfügung stehen. Das kann durch direkte finanzielle Zuwendungen geschehen, durch öffentliche Investitionen, eine Steuersenkung oder auch zeitweilige Ausnahmeregeln.
Im deutschen Klimapaket von 2019 hat man eine Kompensation teilweise schon angelegt, zum Beispiel über eine Senkung der EEG-Umlage. Allerdings werden hier die Einnahmen zu 75 Prozent dazu verwendet, Maßnahmen aus dem Gesamtpaket zu finanzieren, beispielsweise der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Elektro-Ladeinfrastruktur sowie die Gebäudesanierung. Auch wenn in öffentliche Infrastruktur investiert wird, so kommt die direkte Entlastung für die Verbraucherinnen und Verbraucher bislang zu kurz. Hier wäre von einer nächsten Bundesregierung zu prüfen, ob nicht langfristig doch eine Klimadividende, also eine Auszahlung pro Kopf, umsetzbar wäre.
Die aktuelle Situation bietet eine gute Möglichkeit, sich politisch zu profilieren – sozialpolitisch, aber eben auch industriepolitisch. Dabei ist es wichtig, die Priorität richtig zu setzen: Das Leitinstrument der Klimapolitik, mit den günstigsten fiskalischen Effekten, den besten Gestaltungsmöglichkeiten für soziale Balance und nicht zuletzt der größten Effizienz, sollte die CO2-Bepreisung werden.
Brigitte Knopf ist Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin und Mitglied im Expertenrat für Klimafragen. Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Politische Ökonomie.
->Quelle: blog-bpoe.com/knopf