Hör- und Leseempfehlung: Woher kommt der grüne Wasserstoff?
Wüste? Küste? Oder Import, etwa aus sonnenreichen Regionen wie der Sahara? Gebraucht werden jedenfalls riesige Mengen, wenn Energiewende und Klimaschutz funktionieren sollen, so die Einleitung eines Beitrages von Frank Grotelüschen im Deutschlandfunk (Internetseite am 09.05.2021).
Der Autor beginnt im September 2002 in Mingolsheim (Nordbaden). Damals sei eine Brennstoffzelle eingeweiht worden, aus Wasserstoff habe sie Strom und Wärme für ein Schwimmbad gemacht, eines der ersten Wasserstoff-Projekte, das er als Journalist recherchiert habe. Und es seien mehr geworden:
- 2006: Bus mit Wasserstoff im Tank.
- 2008: erstes Wasserstoffschiff der Welt.
- 2009: die Antares, ein kleiner Motorsegler, erstes Wasserstoff-Flugzeug der Welt.
Durchgesetzt habe sich Wasserstoff bis heute nicht, so Grotelüschen. „Nicht als Treibstoff für Autos und Flugzeuge, nicht für die Speicherung von Strom und auch nicht als klimaneutraler Grundstoff für die Industrie. Denn all diese kleinen Pilotanlagen waren schlicht nicht wirtschaftlich.“ Allerdings hätte sie „die technologische Machbarkeit demonstrieren“ sollen. „Das könnte jetzt möglich werden – seitdem das Bundeskabinett die ‚Nationale Wasserstoffstrategie‘ beschloss. Satte neun Milliarden Euro will der Bund lockermachen. Unter anderem sollen damit Anlagen gebaut werden, die grünen, klimaneutralen Wasserstoff endlich in großem Maßstab erzeugen. Und die ihn weiterverarbeiten zu Methan, zu Ammoniak oder zu synthetischen Kraftstoffen für Flugzeuge, Schiffe oder Lkw. Also ein echtes Signal für die Energiewende. Und offenbar auch für die Großkonzerne. Die waren ja lange eher skeptisch. Zum Beispiel die Stahlsparte von thyssenkrupp in Duisburg, heute zählt sie zu den größten CO2-Schleudern der Republik.“
Die Stahlkocher emittieren zusammen pro Jahr 70 Millionen t CO2 – nahezu 40 Prozent der gesamten deutschen Industrie-Emissionen, die bis 2050 auf null sinken sollen. Grotelüschen: „Die Stahlkonzerne sehen nur eine Chance, das zu schaffen – mit Wasserstoff. Doch dafür müssen die Hochöfen durch eine andere Technologie ersetzt werden.“
2026 will thyssenkrupp einen ersten Hochofen mit Wasserstoff-befeuern, insgesamt eine Zig-Milliarden-Iinvestition mit einem beträchtlichen Bedarf an Wasserstoff. Gebraucht würde etwa eine Million Tonnen grünen Wasserstoff jährlich. Rein rechnerisch bräuchte es 3800 neue Windräder, um den Wasserstoff für die Anlagen in Duisburg herzustellen.
Grotelüschen sieht dafür eine Alternative: „Den Wasserstoff von dort importieren, wo er günstig erzeugt werden kann, zum Beispiel in der heißen und sonnenreichen Sahara. Vor gut zehn Jahren hat eine ähnliche Vision unter dem Namen Desertec (siehe solarify.eu/desertec-dii-gmbh) schon einmal für Schlagzeilen gesorgt: Solarkraftwerke in der Sahara sollten Nordafrika und halb Europa über lange Überlandleitungen mit Strom versorgen. Als Großprojekt scheiterte die Vision, aber immerhin gibt es heute in Ländern wie Marokko Solarkraftwerke, die Strom günstig produzieren können. Hier setzt ein neues Positionspapier der Desertec-Initiative von Anfang Dezember an: Der Strom soll nicht in teure Überlandleitungen gespeist werden, sondern günstigen grünen Wasserstoff produzieren. Mit einem Herstellungsverfahren namens Elektrolyse. Sie spaltet Wasser mit Hilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff.“ Dafür braucht es viel Meerwasser.
Cornelius Matthes von Dii Desert Energy, einem aus der Desertec-Initiative hervorgegangenen Thinktank: „Die Kosten für Meerwasser-Entsalzung belaufen sich auf circa ein Prozent im Business Case. Die sind eigentlich vernachlässigbar. Und da kann man auch noch lokal viele positive Effekte generieren, indem Wasser für lokale Kommunen zusätzlich verfügbar gemacht wird.“ Aber auch der Transport kostet Geld. Die Studie setzt vor allem auf eine bestehende Infrastruktur – auf Erdgas-Pipelines. Durch die ließe sich nach einigen Umrüstungen auch Wasserstoff pumpen. Matthes: „Da bestehen schon verschiedene Pipelines zwischen Nordafrika, sowohl Algerien, Marokko, Tunesien, nach Europa. Und es gibt verschiedene andere Möglichkeiten. Erstens mal kann man den Wasserstoff umwandeln, zum Beispiel in Ammoniak. Dann kann Ammoniak per Schiff nach Europa transportiert werden.“ Rund anderthalb Euro pro Kilogramm Wasserstoff soll der Transport nach Europa kosten. Zusammen mit der Erzeugung käme ein Kilogramm-Preis von 3 Euro bis 3,50 Euro heraus, so die Studie.
Aber die MENA-Staaten kämen nicht als einzige als Wasserstoff-Lieferanten in Frage, auch andere sind im Gespräch, manche weit entfernt. Robert Schlögl, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim, Ruhr, und stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Wasserstoffrats: „In Westaustralien gibt es eine hervorragende Mischung aus Wind und Sonne. Man bekommt mehr Laufzeitstunden für den Elektrolyseur, wenn man nach Westaustralien geht. Der Wasserstoff ist einfach billiger dort. Es gibt aber auch das politische Argument: In Westaustralien lebt im Wesentlichen niemand. Und wir befinden uns in einem politischen System, mit dem man Verträge schließen kann wie bei uns. Die Wahrscheinlichkeit, dass man zu verlässlichen Lieferverträgen kommt, ist deutlich größer als in anderen Teilen der Welt.“
Derzeit untersucht Schlögl in einer Studie (siehe: solarify.eu/deutsch-australisches-wasserstoffprojekt-hysupply), ob sich das lohnt. Die große Unbekannte sei der Transport. Pipelines seien über so gewaltige Distanzen kaum machbar. Bleibe der Transport per Schiff. Hier gebe es zwei Möglichkeiten: Den Wasserstoff auf rund minus 250 Grad verflüssigen, das koste Energie. Oder ihn in ein sogenanntes Derivat umwandeln, zum Beispiel in Methanol oder Ammoniak. Für Robert Schlögl die bevorzugte Lösung: „Würde man flüssigen Wasserstoff verwenden, wäre das sehr kritisch, weil die Überlebensdauer von tiefkaltem Wasserstoff nur einige Tage in einem Behälter ist. Während wenn man das in ein Derivat verwandelt, dann ist die Lebensdauer beliebig lange und dann spielt das wahrscheinlich keine Rolle.“
Grotelüschen: „Ginge es also nach der Bundesregierung, würden wir Wasserstoff im großen Maßstab importieren. Ihre Nationale Wasserstoffstrategie sieht zwei Milliarden Euro dafür vor, die Zusammenarbeit etwa mit den MENA-Staaten auszubauen. Langfristig sollen rund 85 Prozent des Wasserstoffs importiert werden, der Löwenanteil. Aber das würde natürlich auch heißen, dass das Geld mit dem Wasserstoff im Wesentlichen woanders verdient wird und nicht in Deutschland. Im Prinzip also dasselbe Geschäftsmodell wie heute mit Öl und Gas, das wir aus Russland importieren oder aus Saudi-Arabien. Wobei sich grüner Wasserstoff im Prinzip ja nicht nur in der Wüste produzieren lässt, sondern auch bei uns: etwa an der Küste.“
Wasserstoff vor Ort – aber der Preis, sieben Euro für ein Kilo, ist hoch. In Zukunft muss er konkurrieren mit dem Wasserstoff, der aus der Sahara kommt oder aus Australien: Noch kann der Wasserstoff von der deutschen Küste nicht mithalten. Das aber könnte sich ändern – sagt jedenfalls eine Studie des Wuppertal-Instituts von Ende 2020. Weiterlesen oder -hören…
->Quelle: deutschlandfunk.de/woher-kommt-der-gruene-wasserstoff-kueste-oder-wueste