Langfristszenarien für Transformation des deutschen Energiesystems
Die energie- und klimapolitischen Ziele Deutschlands erfordern einen grundlegenden Umbau des Energiesystems. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) hat zusammen mit Consentec, der TU Berlin und dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (IFEU) im Auftrag des BMWi untersucht, ob und wie Deutschland durch klimaneutralen Strom, grünen Wasserstoff oder synthetische Kohlenwasserstoffe Treibhausgasneutralität erreichen kann. Die Projektergebnisse wurden am in einem Webinar vorgestellt.
Deutschland soll klimaneutral werden – ursprünglich bis 2050, seit kurzem bis 2045. Im Forschungsvorhaben „Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland“ hat das Fraunhofer ISI zusammen mit Projektpartnern untersucht, welche techno-ökonomischen Auswirkungen drei verschiedene Pfade zur Dekarbonisierung des Energiesystems haben: klimaneutral hergestellter Strom, klimaneutraler Wasserstoff und klimaneutrale Kohlenwasserstoffe.
Die regional und zeitlich hochaufgelösten Szenarien beschreiben mögliche zukünftige Entwicklungen des Energiesystems innerhalb der gesetzten Parametrierung – sie sind keine Prognosen der zukünftigen Situation, sondern bilden konsistente Entwicklungen innerhalb der festgelegten Rahmenbedingungen ab. Da die Szenarien vor der Novelle des Klimaschutzgesetzes definiert und berechnet wurden, sind die aktuellen Beschlüsse zur Verschärfung der Treibhausgasminderungsziele nicht explizit enthalten. Die Erkenntnisse sind jedoch auch vor dem Hintergrund der neuen Ziele gültig und liefern Informationen, um Optionen zum Erreichen der Klimaneutralität zu diskutieren.
Aus der Analyse gewannen die Wissenschaftler mehrere Erkenntnisse für den Umbau des Energiesystems:
- Vor allem die Industrie steht vor einer tiefgreifenden Transformation, besonders die energieintensiven Grundstoffindustrien müssen ihren Anlagenbestand umbauen. Sie benötigen aber nicht nur große Mengen CO2-neutraler Energieträger, auch die Abscheidung und Nutzung des in den Prozessen entstehenden CO2 wird für sie immer relevanter.
- Eine gute Strategie ist, die direkte Stromnutzung zu steigern, beispielsweise bei der Bereitstellung von Wärme in Wärmenetzen, für Wärmepumpen in Gebäuden sowie in Elektrofahrzeugen für den Individual- und Transportverkehr.
- Der Luft- und Seeverkehr wird auch langfristig Kohlenwasserstoffe benötigen, die aus natürlichen Quellen stammen oder in Form synthetischer Kohlenwasserstoffe bereitgestellt werden können.
- Bei schlechter gedämmten Gebäuden gibt es drei Optionen für Klimaneutralität: Nutzung von teuren synthetischen Kohlenwasserstoffen oder in sehr begrenztem Umfang von Biomasse, Nutzung von Wasserstoff mit großem Aufwand bei der Umstellung der Geräte und der Versorgungsinfrastruktur, direkte Stromnutzung mit Nachdämmung.
Erneuerbare Energien müssen ausgebaut werden
Zentrales Element in allen Szenarien – ob Strom, Wasserstoff oder Kohlenwasserstoffe – ist ein starker Ausbau Erneuerbarer Energien in Deutschland und Europa. Die zentrale Herausforderung hierfür ist die Flächenbereitstellung und die Sicherung der notwendigen Akzeptanz. Für die Integration Erneuerbarer Energien müssen die Stromnetze auch nach 2030 noch deutlich ausgebaut werden, um beispielsweise eine effiziente Sektorkopplung zu ermöglichen. Ein weiterer wichtiger Baustein der Energiewende ist die Energieeffizienz, um den Flächendruck durch die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien zu reduzieren – sowohl im In- als auch im Ausland, da Deutschland auch langfristig weiterhin Energie importieren muss.
Auch der Aufbau eines europäischen Wasserstoffnetzes ist Bestandteil einer robusten Strategie für die Transformation des Energiesystems. Hierfür wäre eine Anpassung des Gasnetzes auf den rückläufigen Methanbedarf und den Transport von Wasserstoff wichtig. Da die Analysen zudem zeigen, dass die Treibhausgasemissionen in Deutschland nicht komplett auf null gesenkt werden können, empfehlen die Autor der Studie, die Erforschung und Entwicklung von Technologien für negative Emissionen voranzutreiben.
Projektleiter Frank Sensfuß, der am Fraunhofer ISI das Geschäftsfeld Strommärkte und -infrastrukturen leitet, nennt ein wichtiges Ergebnis aus dem Szenarienvergleich: „Die neuen Klimaziele für 2030 und 2040 erreicht nur das Szenario mit starker Stromnutzung. Bei Strategien, die vor allem auf die Nutzung von Wasserstoff und synthetischen Kohlenwasserstoffen setzen, müssten früher größere Mengen dieser Energieträger eingesetzt werden, um die Ziele zu erreichen. Da aber sowohl grüner Wasserstoff als auch synthetische Kohlenwasserstoffe aktuell nicht in relevanten Mengen in Deutschland verfügbar sind, ist das Erreichen der kurz- und mittelfristigen Ziele über diese Technologiepfade sehr ambitioniert.“
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