Der „Strompreishorror“ und der „Markt“

Wie geht es nach der Wahl weiter? von Karl-Heinz Remmers

Wer einen an die Strom-Börsenpreise gekoppelten Stromtarif hat, erlebt es seit einigen Monaten live: Die Strompreise an der Börse erklimmen immer neue Rekordhöhen. Der „Strompreishorror“ geht um – getrieben vom „Markt“. Offenbar wegen des Wahlkampfs aber ist es um das Thema noch immer erstaunlich ruhig. Dabei gibt es sehr wohl die Chance, das Preisniveau mit einem kräftigen Ausbau der erneuerbaren Energien samt Speichern und Infrastruktur mittel- und langfristig klimaschonend wieder zu senken.

Gastbeiträge geben die Meinungen der Autorinnen und Autoren, nicht in jedem Fall die von Solarify wieder.

Windstrom schwächelt – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

„Der Markt regelt das“, dieses Mantra einiger gesellschaftlicher Akteure ist allen altbekannt. Also auch, dass der Markt den Klimaschutz regelt. Mittel der Wahl schon vor langer Zeit im Strombereich: die Ausgabe von CO2-Zertifikaten auf EU-Ebene und deren (Börsen-)Handel. Ein wichtiges Problem dieses Marktes ist noch immer, dass es viele frei zugeteilte Zertifikate gibt. Und so war der CO2-Preis verglichen mit den aus der Wissenschaft kolportierten Schäden lange Zeit ein totaler Witz. Mit ersten Anpassungen hat sich das geändert, und mit nun über 60 Euro pro Tonne CO2 sieht man die Effekte auf die fossile Stromerzeugung immer deutlicher: Deren Gesamtpreis steigt.

Zum Markt gehört derzeit auch, dass das Gas historisch teuer ist. Somit werden Gaskraftwerke schnell über variable Kosten von zwölf Cent pro Kilowattstunde getrieben und die Marktpreise im deutschen Börsenbereich an vielen Tagen schon über zehn Cent pro Kilowattstunde. In England gab es vergangene Woche sogar Preisspitzen von über 450 Pfund pro Megawattstunde (52 Cent pro Kilowattstunde) – wohlgemerkt nicht für Regelenergie.

All das führt zu massiven Sorgen um die Entwicklung der Strompreise, diesmal vor allem für alle, die eben keine oder nur eine geringe EEG-Umlage zahlen und von einer marktbedingten Senkung der Umlage nicht profitieren werden. Die Entwicklung wird schon sehr bald extrem werden, sollten die Preise nicht einfach wieder sinken oder die kostengünstigeren erneuerbaren Energien schnell ausgebaut werden.

Schon jetzt können Solar- und Windenergie in Deutschland, gekoppelt mit einem Speicher zur Zeitverschiebung im Tagesbereich, unterhalb dieses Niveaus eine nach Zeitplan abrufbare Energieversorgung darstellen – in Kürze auch während sogenannter Dunkelflauten.

Und jetzt höre ich mal mit dieser Seite der Medaille auf.

Schon zu Beginn meiner Tätigkeit als Solarunternehmer vor bald 30 Jahren war klar, dass endliche Rohstoffe irgendwann sehr teuer werden müssen. Und ja: Es war auch klar, dass Verschmutzung vermieden oder bezahlt werden muss, egal um welche Art der Verschmutzung es sich handelt. Das wurde oft beschrieben, und jetzt erreichen wir diesen Punkt langsam auf dem „freien Markt“ (der keiner ist). Denn die Wissenschaft sagt uns, dass 60 Euro pro Tonne CO2 lange nicht ausreichen, um die CO2-induzierten Schäden auszugleichen.

Was ich sehr spannend finde: Wenn wir mit erneuerbaren Energien schon bei dieser Schwelle eine „all electric“-Welt auch für die anderen Sektoren aufbauen können, ist die Energiewende ja eventuell deutlich unterhalb der meist über 180 Euro pro Tonne CO2 liegenden Werte machbar. Das ist jedoch ein weites Feld, und die Diskussion in allen Sektoren im Detail zu führen ist komplex.

Es ist aber ein Ansatz und gleichzeitig der Beweis dafür, dass es richtig war, unter Rot-Grün im Jahr 2000 mit dem EEG den Grundstein dafür zu legen, dass Erneuerbare nun billig und massenverfügbar sind. Erstaunlich, dass dies die beiden Parteien im aktuellen Wahlkampf nicht klar zum Ausdruck bringen. Schelte für die EEG-Umlage bekommen sie ohnehin, versäumen es aber, den Menschen zu sagen, dass die Idee funktioniert hat und nun die nächsten Schritte kommen müssen, etwa sozialer Ausgleich und Sicherung des Wirtschaftsstandorts. Diese Schritte können aber auch kommen, denn teure fossile Rohstoffe und Verschmutzungskosten haben eine entwickelte und sofort massenhaft einsetzbare Alternative. Jetzt und heute.

Wie geht das mit dem „Strompreishorror“ nun nach der Wahl weiter?

Erstmal seit langem wird im Oktober 2021 ziemlich sicher nicht die EEG-Umlage für den seit Jahren üblichen politischen Hexentanz sorgen. Denn die EEG-Umlage dürfte unter den politischen Zielwert fallen. 2021 ist es der Marktpreis, der gegebenenfalls allergische Reaktionen auslöst. Die Politik steht vor dem Dilemma, dass man mit dem langjährigen Ruf „das EEG muss weg“ weder etwas gegen hohe Brennstoffpreise tun kann noch gegen den von fast allen Parteien als Königsweg gepriesenen CO2-Preis. Denn der ist ja eigentlich noch immer zu niedrig. Eigentlich – und so kommt hoffentlich zeitnah die Erkenntnis, dass ein schneller Ausbau von Photovoltaik, Wind und Speichern bei gleichzeitiger Digitalisierung und Anpassung der Netze der eigentliche Königsweg ist.

Über weitere Fakten und wichtige Entwicklungen im Bereich der innovativen Energiewirtschaft geht es am 22./23.9.2021 beim „Forum Neue Energiewelt“ in Berlin. Mehr dazu: https://www.forum-neue-energiewelt.de/