Lesehinweis: Ist Atomkraft „grün“?

Das „grüne“ Label für Atomkraft entzweit die beiden mächtigsten EU-Länder

Green Finance, Green Banking, Green Investing – in Zeiten des Klimawandels wollen die Kapitalmärkte den notwendigen Umbau unserer Volkswirtschaften unterstützen. Leider mischt sich der Staat zunehmend in diese Märkte ein, und zwar auf eine Art und Weise, die sich als kontraproduktiv erweisen wird, weil er in dieselbe Denkfalle tappt, in der einst die Zentralplaner der Sowjetunion gefangen waren, schreibt Andreas Kluth in einem Kommentar auf Bloomberg Green.

Kommentare geben Meinung und Informationen der Kommentierenden wieder, nicht in jedem Fall die von Solarify.

AKW Cruas an der Rhone, Frankreich, mit „harmlosem Gemälde“ an einem Kühlturm – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Das Problem hat mit Definitionen zu tun und damit, wer sie vornimmt. Was genau gilt als „grün“? Überlässt man diese Beurteilung den dezentralen Märkten, so haben diese gute Chancen, das Kapital effizient zu verteilen. Überlässt man sie den Bürokraten, wird das Kapital verschwendet und unsere Bemühungen gegen die globale Erwärmung eher behindert als gefördert. Die Europäische Union hat zum Beispiel gerade die bisher größte grüne Anleihe ausgegeben. Dieses Mal hat sie das grüne Label von Kategorien und Methoden übernommen, die im privaten Sektor entwickelt wurden. Das scheint vernünftig.

Aber in Zukunft will die EU das Geschäft mit den Definitionen nicht der Privatwirtschaft überlassen. Sie arbeitet mit Hochdruck an der Fertigstellung ihrer eigenen Taxonomie. Die EU-Taxonomie soll Unternehmen und Aktivitäten das grüne Abzeichen verleihen – oder verweigern -, um „Investitionen dorthin zu lenken, wo sie am nötigsten sind“. Künftig könnte beispielsweise ein Kreditgeber eines EU-zertifizierten grünen Unternehmens weniger Kapital für den Kredit vorhalten, während der Kreditnehmer das begehrte „Greenium“ in Form eines niedrigeren Zinssatzes erhält. Kreditnehmer ohne die Plakette müssen folglich mehr für ihr Kapital bezahlen.

Sehen Sie sich zum Beispiel den aktuellen Streit zwischen den beiden mächtigsten Ländern der EU, Frankreich und Deutschland, an. Frankreich bezieht den größten Teil seines Stroms aus Kernenergie, die den Vorteil hat, dass sie zuverlässig und sauber ist, d. h. keine Treibhausgase ausstößt. Sie hat aber auch den Nachteil, dass sie giftige Abfälle produziert und manche Menschen sich unsicher fühlen. Deutschland vertritt genau die entgegengesetzte Haltung. Nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima beschloss es vorschnell den vollständigen Ausstieg aus der Kernenergie und wird nächstes Jahr sein letztes Kernkraftwerk abschalten.

Und die Grünen, die in der nächsten deutschen Regierung eine große Rolle spielen werden, verabscheuen die Atomtechnologie mit einem an Religion grenzenden Eifer. Deshalb kämpft Deutschland dagegen, dass die Atomtechnologie in der EU-Taxonomie das grüne Etikett erhält. Das Ergebnis ist ein chaotischer Machtkampf um Kategorien, bei dem die Franzosen eine Allianz aus neun EU-Ländern bilden und Deutschland die Unterstützung anderer Mitgliedsstaaten erhält…

Der Autor Andreas Kluth ist Kolumnist für Bloomberg Opinion. Zuvor war er Chefredakteur von Handelsblatt Global und schrieb für den Economist. Er ist der Autor von „Hannibal und ich“. Der gesamte Kommentar  erschien zuerst auf Bloomberg Green.

->Quelle und vollständiger Kommentar: tbsnews.net/nuclear-power-green-317011