Ballon-Observatorium betrachtet Sonne aus 35 km Höhe

Sonnenmission Sunrise III: „Hangtest“ in Göttingen

Das Sonnenobservatorium Sunrise III, das im Frühsommer nächsten Jahres die Sonne an einem Heliumballon aus einer Höhe von 35 Kilometern beobachten wird, hat am 28.10.2021 am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen einen wichtigen Meilenstein erreicht: Erstmals konnten die wissenschaftlich-technischen Teams eine Messung mit Sonnenlicht durchführen.

Sonnenobservatorium Sunrise III, etwa sieben Meter hoch, umfasst in Flugkonfiguration das Sonnenteleskop als Herzstück, wissenschaftliche Instrumente, ein System zur Bildstabilisierung und Bordelektronik – Foto m. Frdl. Genehmigg. © MPS, P. Chitta

Beim so genannten „Hangtest“ öffnete sich das riesige Tor der MPS-Ballonhalle, um dem Observatorium so den direkten Blick in die Sonne zu ermöglichen. Der Test ist ein wichtiger Teil der aktuellen Vorbereitungen für den mehrtägigen Stratosphärenflug von Sunrise III im nächsten Jahr. Dabei wird die sieben Meter hohe Strebenkonstruktion, die in seiner Flugkonfiguration Sonnenteleskop, wissenschaftliche Instrumente, ein System zur Bildstabilisierung und die Bordelektronik enthält, beispiellose Messdaten aus der unteren Atmosphäre der Sonne, der Chromosphäre, einfangen.

Etwa sieben Monate vor dem geplanten Start der Mission Sunrise III sind die Vorbereitungen am MPS in vollem Gange. Viele der Subsysteme sind funktionsbereit:

  • das Teleskop, das mit seinem 1-Meter-Hauptspiegel das Herzstück von Sunrise III bildet;
  • die Instrumente SUSI (Sunrise UV Spectropolarimeter and Imager) und SCIP (Sunrise Chromospheric Infrared Spectro-Polarimeter), die vom MPS, einem japanischen Konsortium unter Leitung des National Astronomical Observatory of Japan und dem Spanish Space Solar Physics Consortium (S3PC) unter Leitung des Instituto de Astrofísica de Andalucía entwickelt und gebaut wurden;
  • das System zur Bildstabilisierung des Leibniz-Instituts für Sonnenphysik in Freiburg;
  • und die gesamte Bordelektronik.

Andere wie das Instrument TuMaG (Tunable Magnetograph), das von S3PC unter der Leitung des Instituto de Astrofísica de Andalucía entwickelt und gebaut wird, stehen kurz vor der Fertigstellung. Die sieben Meter hohe Gondel wurde in den vergangenen Wochen vom Applied Physics Laboratory der amerikanischen Johns Hopkins Universität angeliefert und vor Ort in Göttingen zusammengebaut.

„Mit den aktuellen Tests prüfen wir, ob alle Systeme von Sunrise III reibungslos zusammenarbeiten, und können gegebenenfalls noch nachbessern und verfeinern“, erklärt Andreas Lagg vom MPS, Sunrise III-Projektmanager. „So können wir bereits am Boden die Abläufe für die späteren Messungen während des Fluges perfektionieren“. Während Raumsonden typischerweise die lange Anreise durchs All zur Inbetriebnahme der wissenschaftlichen Instrumente nutzen, muss Sunrise III mit einem deutlich knapperen Zeitplan auskommen. „Der Flug dauert nur wenige Tage. Nach dem Start wollen wir deshalb so schnell wie möglich mit den wissenschaftlichen Messungen beginnen“, so Achim Gandorfer, Sunrise III-Projektwissenschaftler.

Sonnenlicht für SUSI und SCIP

Das Observatorium soll sich während des Fluges selbsttätig zur Sonne ausrichten. Überwacht und kontrolliert wird dieser Vorgang aus 6.000 Kilometern Entfernung von Ingenieuren der Johns Hopkins Universität in den USA. „Wegen der Corona-Pandemie konnten viele unserer internationalen Partner beim Einbau ihrer Hardware-Beiträge nicht hier vor Ort sein und selbst Hand anlegen“, beschreibt Achim Gandorfer die Arbeit der vergangenen Wochen und Monate. „Stattdessen mussten wir ihren Rat und ihre Expertise per Videokonferenz einbeziehen. Beim Hangtest gehen wir nun ähnlich vor“, fügt er hinzu.

Bis zum Frühjahr nächsten Jahres bleibt dem wissenschaftlich-technischen Team für die weitere Inbetriebnahme Zeit. Wenn die Schneemassen jenseits des Polarkreises langsam schmelzen, reist Sunrise III in Einzelteile zerlegt und sicher in Kisten verpackt per Lastwagen zum Startplatz, der Raketenbasis Esrange Space Center, im nordschwedischen Kiruna. Startklar ist das Sonnenobservatorium am 01.06.2022. Sobald die Wind- und Wetterverhältnisse in Kiruna günstig sind, hebt der mit 850 Kilogramm Helium gefüllte Ballon das sechs Tonnen schwere Observatorium auf eine Höhe von 35 Kilometern. Von dort trägt der Wind Sunrise III nach Westen; einen eigenen Antrieb hat Sunrise III nicht. Gelandet wird nach mehrtägigem Flug am Fallschirm im Norden Kanadas.

Mitternachtssonne und UV-Strahlung

„Da wir zur Sommerzeit und jenseits des Polarkreise fliegen, kann Sunrise III während des gesamten Fluges ununterbrochen auf die Sonne schauen“, beschreibt Missionsleiter Prof.Sami K. Solanki vom MPS einen der Vorzüge der Mission. Auf 35 Kilometern Höhe hat das Observatorium den Großteil der Erdatmosphäre zurückgelassen; Luftturbulenzen trüben den Blick kaum. „Anders als erdgebundene Teleskope hat Sunrise III in dieser Höhe Zugang zur ultravioletten Strahlung von der Sonne“, erklärt Solanki weiter. Dieser Teil der Sonnenstrahlung hat seinen Ursprung in erster Linie in der heißen Atmosphäre der Sonne und enthält wertvolle Informationen aus dieser Region. Da die Ozonschicht der Erdatmosphäre das ultraviolette Licht von der Sonne weitestgehend absorbiert, steht es erdgebundenen Teleskopen nicht zur Verfügung.

Die Instrumente von Sunrise III sind auf verschiedene Wellenlängenbereiche spezialisiert. Auf diese Weise blickt Sunrise III gleichzeitig auf einen Bereich von mehr als 2.000 Kilometer Höhe, der sich von knapp unter der sichtbaren Oberfläche der Sonne bis in die obere Chromosphäre erstreckt. Besser als bei jedem anderen Observatorium – ganz gleich ob im Weltraum oder auf der Erde – lassen sich die Messdaten von Sunrise III aus dieser Region einer genauen Höhe zuzuordnen. So lässt sich präzise verfolgen, wie beispielsweise kleinste Strahlungsausbrüche, sogenannte Mikroflares, entstehen oder wie sich wellenartige Phänomene in der Sonnenatmosphäre ausbreiten.

„Sunrise III kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten zu verstehen, wie es der Sonne gelingt, ihre äußere Hülle auf unfassbare Temperaturen von mehr als einer Million Grad Celsius aufzuheizen“, so Solanki. „Um diese Frage zu beantworten, braucht es einen ganz besonderen Blick auf die Sonne.“

->Quelle: mps.mpg.de/sonnenmission-sunrise-iii-hangtest-in-goettingen