„Jetzt handeln, um Kohlendioxidemission zu stoppen“

Fast 200 Teilnehmende diskutierten im Rahmen der 4. Carbon2Chem-Konferenz Wege zu nachhaltiger Industrie

Einblicke in Projekte zur Gestaltung einer klimaneutralen und nachhaltigen Industrie auf der einen, aktuelle Ergebnisse aus dem Verbundprojekt Carbon2Chem® auf der anderen Seite – die 4. Konferenz zur nachhaltigen chemischen Konversion in der Industrie bescherte knapp 200 Teilnehmenden Ende November 2021 einen intensiven Tag – so eine Medienmitteilung aus dem Oberhausener Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT). Das Motto der hybriden Veranstaltung: „Carbon2Chem – Baustein für den Klimaschutz“.

Nordrhein-Westfalen strebt Klimaneutralität bis 2045 an

Carbon2Chem – altes Stahlwerk Thyssen – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Wie Nordrhein-Westfalen bis 2045 Klimaneutralität erreichen will, erläuterte Michael Theben, Leiter der Abteilung Klimaschutz im Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIDE): „Zum einen etablieren wir Strategien zu Themen wie Wasserstoff, Kohlenstoff und synthetischen Kraftstoffen, zum anderen setzen wir auf Initiativen wie IN4climate.NRW, in denen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft an der Vision einer klimaneutralen Industrie arbeiten.“

Konkrete Projekte standen im Fokus der beiden folgenden Vorträge. Markus Oles von der thyssenkrupp Steel Europe AG gab als einer von drei Carbon2Chem®-Koordinatoren einen Überblick über das Vorhaben selbst, die Herausforderungen und die Veränderungen im Hinblick auf den Arbeitsplan – schließlich haben sich die Rahmenbedingungen seit Start des Verbundprojektes geändert. Abschließend skizzierte er das Lösungsportfolio des Konsortiums.

Anschließend stellte Thomas Haas (Evonik Operations GmbH) die Arbeit im Projekt Rheticus (siehe solarify.eu/co2-soll-saubere-arbeit-leisten) vor. Auch hier geht es darum, Kohlendioxid als Rohstoff zu nutzen. Allerdings setzen die Wissenschaftler dabei nicht nur auf Power-to-X-Verfahren: In einem ersten Schritt – der Ko-Elektrolyse – werden CO2 und Wasser mittels erneuerbarer Energie in Wasserstoff und Kohlenmonoxid umgewandelt. Es folgt die Fermentation, bei der das Synthesegas an Mikroorganismen verfüttert wird, die anschließend Spezialchemikalien wie Buthanol und Hexanol ausscheiden.

Von Recycling und Klimainvestitionen

Ansgar Fendel von der Remondis Assets & Services GmbH & Co. KG stellte zum Thema Recycling heraus: „Für eine klimaneutrale und nachhaltige Wirtschaft müssen wir verstärkt recycelte Materialien nutzen.“ Abfall gebe es dafür genug, allerdings seien die Stoffströme ein „Cocktail“ verschiedener industrieller Sektoren und sehr heterogen. „Für das Recycling werden qualitativ hochwertige Materialien benötigt, aber im Abfall befinden sich auch Materialien, die nicht wiederverwertet werden können – zum Beispiel, weil sie mit Farbe versehen oder in einem Auto verbaut sind. Die entscheidende Frage ist also: Wie lässt sich der Abfall zielführend trennen?“ Dafür seien sowohl eine abfallspezifische Logistik als auch Recycling-Betriebe notwendig, die das Material trennen und sortieren, so dass wiederverwertbare Stoffe entstehen können.

Einen ganz anderen Weg zur Klimaneutralität zeigte Ben A. Haag von OGCI Climate Investments LLP auf. „Wir streben weniger Kohlenstoff durch Investitionen an. Das heißt: Wir stecken Geld in innovative, CO2-arme Technologien und setzen uns zugleich für die Implementierung entsprechender Lösungen ein.“ Dabei konzentriert sich die Initiative auf drei Schwerpunkte: die Reduzierung von Methan- und Kohlendioxidemissionen sowie Recycling und Speicherung von Kohlendioxid.

Forschung zur Energiewende der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen

Die Frage, wie solche Technologien und ihr Beitrag zur Gestaltung einer klimaneutralen Industrie der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, beantwortete Martin Schmidt vom Westfälischen Landesmuseum für Industriekultur in Hattingen. Er stellte das – ebenfalls vom BMBF geförderte – Projekt „WissKomm Energiewende“ vor. „Momentan wird die Debatte zur Energiewende von Angst und Enttäuschungen bestimmt. Wir wollen erreichen, dass nicht länger über Probleme, sondern über Lösungen gesprochen wird, die es dank der Forschung gibt.“ Kern des Projektes ist eine Ausstellung, die an verschiedenen Orten in Deutschland gezeigt wird – u.a. im Museum in Hattingen und im Klimahaus Bremerhaven 8° Ost. Ihre Schwerpunkte reichen von Stromnetzen über Materialkreisläufe bis zu Transport. Parallel finden Veranstaltungen sowie eine wissenschaftliche Begleitung statt. „Schließlich wollen wir feststellen, wie die Menschen auf das reagieren, was wir tun“, so Schmidt.

Emissionsärmeren Kraftstoffen auf der Spur

Zurück auf die Seite der Industrie führten die Vorträge von Siva Ariyapadi (ExxonMobil Chemical Company) und Frank Obrist (Obrist DE GmbH). Ihr gemeinsames Thema: Entwicklung und Einsatz von Technologien zur Produktion emissionsärmerer Kraftstoffe. ExxonMobil schlägt dabei zwei unterschiedliche Pfade ein. Das Unternehmen setzt sowohl auf Technologien für erneuerbare Destillatbrennstoffe als auch auf Technologien zur Umwandlung von Methanol in Benzin.

Methanol bildete denn auch die Brücke zum Vortrag von Obrist, der Einblicke in aktuelle Projekte seines Unternehmens gab. Eines davon ist seit August 2021 als Teilprojekt Teil von Carbon2Chem®: Ein Auto, das mit Methanol ein Hauptprodukt des Verbundprojektes verwertet und dadurch eine emissionsarme, ressourcen- und energieeffiziente Mobilität ermöglicht. Dafür wird ein Konzept für einen seriellen Hybrid-Antrieb weiterentwickelt, optimiert und als Demonstrator umgesetzt.

Zum Stand im Verbundprojekt Carbon2Chem®

Damit war der Vortragskreis geschlossen – das letzte Viertel der Konferenz wurde dem Stand der aktuellen Forschungsarbeiten im Verbundprojekt gewidmet. Torsten Müller vom Fraunhofer UMSICHT sprach über die Systemintegration, bei der erarbeitete Konzepte aus systemischer Sicht evaluiert und optimiert werden, um eine Basis für den Einsatz in diversen Industriezweigen zu schaffen. Katharina Menzel (Nobian GmbH) und Andreas Geisbauer (Clariant Produkte GmbH) arbeiteten das Potenzial heraus, das Methanol für die Defossilisierung des Transportsektors und der chemischen Industrie bietet.

Oliver-Niklas Hegen (Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion) ging auf die Rolle der Analytik bei Carbon2Chem® ein. „Wir beantworten im Grunde zwei Fragen: Wie ist die exakte Zusammensetzung der Gase, die aus der Industrie bei uns landen? Und wie rein sind sie nach der Behandlung durch die Projektkollegen?“ Dabei gelte es, einige Hürden zu nehmen. Schließlich müsse das Monitoring so gut wie möglich simultan, online und mit hoher Sensitivität erfolgen. Im Anschluss stellten Thorsten Wack und Stefan Schlüter (Fraunhofer UMSICHT) die zentrale Bedeutung von Simulationen für die Entwicklung und Evaluierung der im Verbundprojekt erarbeiteten Konzepte heraus.

Carbon2Chem® als Baustein für den Klimaschutz

Wie diese Forschungsarbeiten auf den Klimaschutz einzahlen, fasste Prof. Görge Deerberg (Fraunhofer UMSICHT und ebenfalls Carbon2Chem-Koordinator) im letzten Vortrag des Tages zusammen. „Unsere Vision ist eine auf Kohlenstoff basierende Wirtschaft ohne fossile Rohstoffe. Um das zu erreichen, verknüpfen wir zwei Systeme: Nicht vermeidbares CO2 aus Stahl-, Zement- oder anderen Industrien wird zu Rohstoffen für die chemische Industrie.“ Aktuell seien die Forschenden dabei, entwickelte Technologien für die Anwendung vorzubereiten – z.B. via Scale-up und auch Kommunikation.

Die Zeit sei dafür genau richtig. „Wir müssen jetzt handeln, um Kohlendioxidemission zu stoppen“, gab er den Teilnehmenden mit auf den Weg. „Carbon2Chem ist die richtige Plattform dafür. Erst auf die Entwicklung anderer, besserer Technologien zu warten, ist in meinen Augen falsch.“

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