Perspektiven für Gaskraftwerke und Erneuerbare
SPD, Grüne und FDP haben Ende November den Koalitionsvertrag 2021 – 2025 unterzeichnet. Zu den wesentlichen Schwerpunkten des neuen Regierungsbündnisses zählt, neben der Gesundheitspolitik, die Klima- und Energiepolitik. Sehr prominent wird bereits in der Präambel der 177 Seiten umfassenden Grundlage des Regierungshandels klargestellt, dass die Erreichung der Pariser Klimaschutzziele oberste Priorität hat und die Energiewende bis 2030 konsequent beschleunigt werden soll. Unterlegt wurden die hohen energiewirtschaftlichen Ambitionen Anfang 2022 in der Eröffnungsbilanz Klimaschutz des BMWi. Eine Medienmitteilung von enervis vom 18.01.2022.
Diese Dynamik wird nicht nur in den derzeitigen Rochaden des Personaltableaus im BMWi offensichtlich, sondern auch in den für 2030 formulierten Maßnahmen und Zielen der Energiewirtschaft. Neben einem drastisch beschleunigten und ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien sind Entscheidungen zu einem CO2-Mindestpreis von 60 €/t angekündigt. Das Ende des fossilen Zeitalters mit einem Kohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 und einem Ende des Verbrennungsmotors bis 2035 wird eingeläutet. Die Elektrifizierung bzw. Dekarbonisierung des Wärme- und Verkehrssektors steht im Fokus. Dies geht zwangsläufig mit einer deutlichen Steigerung der Stromnachfrage einher. Um die notwendigen Maßnahmen entsprechend anzuschieben, soll bereits im kommenden Jahr ein Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg gebracht werden. Für den finanziellen Rahmen wurden noch im Dezember 2021 im Bundestag die Weichen gestellt.
Insbesondere sollen die neuen, sehr ambitionierten Ausbauziele Wind (Offshore 30 GW, Onshore 100 GW) und PV (200 GW) für 2030 „unter Beseitigung aller Hemmnisse“ erreicht werden. 80 Prozent des Bruttostrombedarfs in 2030 (680 bis 750 TWh) werden dann aus erneuerbarer Energie gedeckt. Um dies zu realisieren, müssten rein rechnerisch in den kommenden neun Jahren jedes Jahr kontinuierlich absolute Höchststände in den Zubaukapazitäten der einzelnen Technologien erreicht werden (PV 16 GW/Jahr; Onshore 5 GW/Jahr).
In 2030 ist das Ziel, dass mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkws in Deutschland zugelassen sind. Allein dafür müsste deren Anteil an den jährlichen Neuzulassungen etwa 85 Prozent betragen. Daneben wird Wasserstoff eine zunehmend prominente Rolle in Mobilität, Industrie und Verstromung spielen. Die Wasserstoffproduktion soll in 2030 aus etwa 10 GW Elektrolyseurkapazität kommen. Nicht zuletzt wird ein neues Strommarktdesign erarbeitet und die Finanzarchitektur des Energiesystems soll dementsprechend zügig und umfassend reformiert werden.
Basierend auf aktuellen Einschätzungen zur Strommarktentwicklung und unter Berücksichtigung der im Koalitionsvertrag skizzierten energiewirtschaftlichen Zielwerte 2030, haben die Energieökonomen der enervis energy advisors GmbH die Strompreis- und Strommarktentwicklung am deutschen Großhandelsmarkt bis 2030 prognostiziert und analysiert.
„Unsere Strommarktmodellierungen zeigen, dass die energiewirtschaftlichen Zielpfade des Koalitionsvertrages zu einer deutlichen Minderung der CO2-Emissionen in der Stromerzeugung bis 2030 führen. Der Kohlendioxidausstoß des Kraftwerksparks reduziert sich deutlich auf unter 100 Mio. t CO2 in 2030 und liegt damit in Reichweite des sektoralen Zielwertes des Klimaschutzgesetzes,“ so Mirko Schlossarczyk, Partner und Strommarktexperte der enervis.
Gleichzeitig steigt allerdings die Bruttostromnachfrage bis 2030 auf etwas mehr als 700 TWh und Deutschland wird in den 2020ern im Jahressaldo zum Stromimporteur. Die voranschreitende Dekarbonisierung und Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors sowie der Industrie und der Markthochlauf von Wasserstoff resultieren in neuen Herausforderungen. Ein zügiger Ausbau der erneuerbaren Energien, der signifikant und dauerhaft über den Zuwächsen der vergangenen Jahre liegen muss, ist notwendig.
Zudem brechen für Gaskraftwerke neue Zeiten an, und ein Kapazitätszubau rückt bereits deutlich vor 2030 ins Blickfeld. Die skizzierten Annahmen führen im Ergebnis der Modellierung bis 2030 zu einem Bedarf von etwa 16 GW an neuen Gaskraftwerken.
„Die vielzitierte Brückentechnologie Gas wird in diesem Umfeld eine Renaissance erleben. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und damit letztendlich den Kohleausstieg zu ermöglichen, müssen wir nicht nur über den Kohleausstieg sprechen, sondern auch über den Einstieg von wasserstofffähigen Gaskraftwerken, KWK und Speichern. Hier werden zeitnah vernünftige Anreize und dann auch Investitionen benötigt,“ so Mirko Schlossarczyk weiter.
Daneben belegen die Ergebnisse der enervis-Szenariomodellierung, dass eine Stillsetzung von Kohlekraftwerken bis 2030 bei gleichzeitig signifikant steigender Stromnachfrage die Diskussionen um die Versorgungssicherheit und das Strommarktdesign weiter befeuern dürfte. Das derzeitige Strommarktdesign auch in Zukunft unterstellt, steigt der Bedarf an Nachfrageflexibilitäten, Stromspeichern und Power-to-X-Technologien. Daher ist die im Koalitionsvertrag angelegte Diskussionsgrundlage eines neuen Strommarktdesigns in diesem Kontext zwangsläufig und notwendig.
Die energiewirtschaftlichen Ziele des Koalitionsvertrages sowie die Zielerreichungsstrategien und –maßnahmen stellen somit lediglich den Auftakt eines langen und intensiven Ringens um die künftige Struktur der Stromerzeugung, sowie des deutschen Strommarktes dar und strahlen weit über die Energiewirtschaft und den Industriestandort Deutschland hinaus.
->Quelle: enervis.de/20220118_enervis-Pressemitteilung_Koalitionsvertrag.pdf