„Rettungsleine für Russland“?
Wasserstoff scheint das neue Erdöl zu sein, wenn man der Bundesregierung Glauben schenkt. Deutschland hat Wasserstoff-Büros von Moskau bis Riad gegründet, das stößt vielerorts auf Unverständnis, schreibt Nikolaus J. Kurmayer am 01.02.2022 im Portal EURACTIV.de. Für die Dekarbonisierung Deutschlands sind große Mengen Wasserstoff nahezu unentbehrlich. Das geruchlose Gas kann, ohne CO2-Emissionen verbrannt werden und spielt eine Schlüsselrolle in der Dekarbonisierung der verschiedenen Industriezweige. Jedoch erfordert die Spaltung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff viel Grünstrom.
Daher heißt es, dass dem “dem Import von grünem Wasserstoff” eine zentrale Rolle zukommen wird, so Vizekanzler Robert Habeck in seiner Eröffnungsbilanz. Denn selbst aus Europa wird der Bedarf nicht gedeckt werden können, von deutscher Energieautarkie ganz zu schweigen. Die Botschaft, die von der neuen Bundesregierung in die Welt getragen wird, ist daher eine Wasserstoff-zentrische. Sei es Kanzler Olaf Scholz, der in Davos dem globalen Süden einen lukrativen Handel mit Wasserstoff versprach oder Außenministerin Annalena Baerbock, deren Vorstoß zur Wasserstoffdiplomatie in Kiew auf breites Unverständnis traf.
Dabei sorgt die deutsche Wasserstoffdiplomatie nicht nur in Kiew für Stirnrunzeln – ihr scheint auch ein programmatischer Widerspruch innezuwohnen. Denn während Baerbock in Russland beim “Thema Energie eine vertiefte Zusammenarbeit gerade auch mit Blick auf Nachhaltigkeit” betonte, sprach Vizekanzler Habeck zeitgleich von einer internationalen Gefahrenlage, die selbst die Zeit des Kalten Krieges noch an Intensität übertreffe.
Die deutsche Herangehensweise hat mit Moskau, Riad, Luanda, Abuja und bald Kiew zu tun. Denn all diese Städte beherbergen laut Außenministerium deutsche Wasserstoffdiplomatiebüros. Diese von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) betriebenen Büros haben zwei erklärte Ziele.
- Deutschland habe “ein hohes Interesse daran, dass im Ausland mehr Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff entstehen, um unseren zukünftigen Importbedarf zu decken,” so heißt es aus Baerbocks Ministerium.
- Andererseits wolle man erwirken, “dass heutige Exporteure fossiler Brennstoffe frühzeitig ihr Geschäftsmodell anpassen, um so wirtschaftliche Verwerfungen – und somit auch potenzielle sicherheitspolitische Risiken zu mindern”.
Exportgut Wasserstoff
Wasserstoff-Produktionskapazitäten sollen laut Scholz ein klimaneutrales Exportgut für Schwellen- und Entwicklungsländer sein. So will Scholz über seinen Klima-Klub “Investitionen in grünen Wasserstoff international koordinieren – um so eine zuverlässige globale Versorgung aufzubauen”.
“Die gegenseitigen Vorteile liegen auf der Hand – für ein Land wie Deutschland mit starker industrieller Basis und einem hohen Energieverbrauch, aber auch für diejenigen, die die Hauptproduzenten von grünem Wasserstoff werden würden – nämlich Schwellen- und Entwicklungsländer”, so der Kanzler in Davos am 19. Januar.
Dieser Teilaspekt der deutschen Wasserstoffdiplomatie lässt sich an den Büros in Luanda, der Hauptstadt Angolas, und Abuja, der Hauptstadt von Nigeria, festmachen. Für Länder mit einem großen Potenzial für erneuerbare Energien, viel Platz und vergleichsweise wenig Widerstand in der Bevölkerung könnte grüner Wasserstoff ein wichtiges Exportgut sein.
Allerdings sei es „wichtig, die Auswirkungen zu berücksichtigen, die der Handel mit grünem Wasserstoff auf den Energiezugang in den Partnerländern haben kann”, erklärt die Wasserstoffexpertin Eleonora Moro des Think-Tanks E3G.
Unabhängig von der deutschen Wasserstoffdiplomatie “besteht die Gefahr, dass die Projekte die Strompreise in Ländern in die Höhe treiben, in denen der Zugang zu Energie bereits ein großes Problem darstellt“, fügte sie hinzu.
Stabilitätsgarant Wasserstoff
Deutschland importierte bisher mehr als 60 Prozent der Energie, die es jährlich verbraucht. Den Großteil davon in fossiler Form aus Russland und Norwegen. Für beide Länder wurde der deutsche Hunger nach fossilen Energien somit zu einem kritischen Wirtschaftszweig.
Allerdings will Deutschland bis 2045 klimaneutral werden, wird also spätestens dann nicht mehr auf Erdgas zurückgreifen. Wahrscheinlich wird Deutschland sogar zwischen 2035 und 2040 aus der Gasverstromung aussteigen, während bis dahin die Nachfrage relativ stetig zurückgehen wird.
“Wir brauchen russisches Erdgas und Russland braucht Devisen,” erklärte der RWE-Chef Markus Krebber im Interview mit der FAZ. Zwischen Deutschland und Russland “besteht seit Jahren eine enge gegenseitige Abhängigkeit”. Der Weg zur deutschen Klimaneutralität stellt daher auch Schwellenländer vor Herausforderungen.
“Wenn den öl- und gasreichen Staaten die Einnahmen wegbrechen, droht die Destabilisierung dieser Länder”, warnen die Wirtschaftsweise Veronika Grimm und Kirsten Westphal, Expertin für Außenpolitik, die inzwischen in der Führungsriege der Wasserstoffhandel-Stiftung H2Global vertreten ist. Wasserstoff soll das neue Vehikel für den weltweiten Handel von Energie werden, und möglichst allen zugängig werden. Denn “auch die heutigen Öl- und Gaslieferanten sollten Chancen haben, am Energiehandel weiter zu verdienen,” schreiben die Expertinnen vom Nationalen Wasserstoffrat.
Auch Russland scheint sich diesbezüglich neu zu orientieren. So betonte der russische Außenminister Sergei Lawrow nach einem Treffen mit Baerbock Mitte Januar, dass auch „Kooperationsvorhaben in den Bereichen Gesundheitswesen, Klimawandel, erneuerbaren Energien und auch der Wasserstoffstrategien- und Technologien“ ausgiebig besprochen wurden.
Große Aufgabe, kleine Büros
Die neuen Wasserstoffdiplomatiebüros der Bundesrepublik Deutschland, die auf dem gesamten Globus verstreut sind , stehen also vor großen Herausforderungen. Zwar stehen sie nicht allein, werden etwa von Initiativen wie H2Global unterstützt, aber es ist fraglich, ob die Büros den Herausforderungen gewachsen sind.
Mit dem von Baerbock angekündigten Büro für Kiew werden es ganze fünf “Wasserstoffbotschaften” sein. Allerdings ist sowohl für Kiew als auch zum Teil für die anderen Büros das Personal noch nicht gefunden. Die GIZ sucht zum Beispiel immer noch eine Leiter:in für das Büro in Moskau.
Insgesamt stehen laut dem Auswärtigen Amt bis Ende 2023 gesamt ca. 14 Millionen Euro zur Verfügung, davon sollen mindestens eine Büroleiter:in und eine Referent:in pro Büro angestellt werden – ein Trinkgeld im Vergleich mit den acht Milliarden Euro, die in Deutschland für die Wasserstoffwirtschaft locker gemacht werden. Hierbei muss gesagt werden, dass es andere Fördertöpfe für ausländische Wasserstoffprojekte gibt.
->Quellen: euractiv.de/deutschlands-wasserstoffdiplomatie-rettungsleine-fuer-russland