Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft

Der Ausstieg als Konsequenz von Fehlentwicklungen und Größenwahn der Atomwirtschaft

„Die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima haben den Niedergang der Atomwirtschaft praktisch besiegelt. Aber man sollte nicht verkennen, dass die Atomwirtschaft selbst zu ihrem Niedergang beigetragen hat – insbesondere durch strategische Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen.“ Zu diesem Schluss kommen Joachim Radkau und Lothar Hahn in ihrem Buch „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“.

Eine prominente Fehlentscheidung der jüngeren Zeit war der „Ausstieg aus dem Ausstieg“, der nach der nuklearen Katastrophe in Japan schnell rückgängig gemacht wurde. Aber bereits in den Jahrzehnten zuvor hatten sich Politiker häufig verschätzt, wenn es um richtungsweisende Entscheidungen in der Atomwirtschaft ging. Jahrelang hat man Probleme unter den Tisch gekehrt, Entscheidungen hinausgezögert sowie Chancen und Risiken der Atomenergie falsch bewertet: „Seit Beginn der kerntechnischen Entwicklung in Deutschland waren die Planungen und auch die Versprechen häufig von einem Phänomen geprägt, welches heute nur noch schwer nachvollziehbar ist: einer grenzenlosen Überschätzung der technischen, energiewirtschaftlichen und ökonomischen Möglichkeiten, die mit der Kernenergienutzung verbunden sind.“

Mittlerweile ist die Energiewende beschlossene Sache. Möglich wurde sie nicht zuletzt, weil die von der Atomlobby oft bemühte „german angst“ nicht mehr nur auf Deutschland beschränkt ist, sondern sich weltweit zu manifestieren beginnt. Am 06. Juni 2011 hat der Deutsche Bundestag das Ende des Atomzeitalters beschlossen; ein erneuter „Ausstieg aus dem Ausstieg“ ist heute undenkbar und würde, so Radkau und Hahn, „zu einem demoralisierenden Desaster“ führen.
Was nun notwendig ist, sind neue Strukturen und neue Managertypen, die aus den Erfahrungen mit der Kerntechnik gelernt haben und gleichzeitig mutig den historischen Moment nutzen. Auch beim Ausbau der Erneuerbaren Energien wird es Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen geben, werden wirtschaftliche Interessen des Öfteren Vorrang haben – der Umgang mit neuen Technologien ist immer auch ein „Learning by doing“. Der große Vorteil der Erneuerbaren Energien gegenüber der Kerntechnik ist aber: man kann sich Experimente leisten, da sich die Risiken in Grenzen halten.

Mehr in der Leseprobe „Bilanz und Ausblick“.

Joachim Radkau, geboren 1943 in Oberlübbe, ist derzeit Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Technikgeschichte an der Universität in Bielefeld. Im oekom verlag erschien von ihm bereits der Titel „Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt“. In seiner langen Karriere widmete er sich intensiv der Geschichte der deutschen Atomwirtschaft und habilitierte zu diesem Thema. 2012 erhielt er den DUH UmweltMedienpreis für sein Lebenswerk.

Lothar Hahn, geboren 1944, ist einer der renommiertesten deutschen Kernenergie-Experten. Er war unter anderem Vorsitzender der deutschen Reaktor-Sicherheitskomission und leitete von 2006 bis 2008 das „Committee on the Safety of Nuclear Installations“ der Kernenergieagentur (NEA) der OECD. Bis zu seiner Pensionierung 2010 war er technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS).

Joachim Radkau, Lothar Hahn:
Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaf
416 Seiten, 24.95 EUR ISBN: 978-3-86581-315-2
oekom verlag, München 2013
->Quelle: oekom.de