Forschungsergebnis aus Leipzig könnte biologisches Recycling wirtschaftlich attraktiver machen
Plastikflaschen, Obstschalen, Folien: Diese leichten Verpackungen aus PET-Kunststoff werden zum Problem, wenn sie nicht recycelt werden. Wissenschaftler der Universität Leipzig haben nun ein hocheffizientes Enzym entdeckt, das PET in Rekordzeit abbaut. Mit dem Enzym PHL7, das die Forscher auf einem Leipziger Komposthaufen fanden, könnte biologisches PET-Recycling deutlich schneller als bislang angenommen möglich werden. Die Ergebnisse wurden am 06.05.2022 open access in ChemSusChem veröffentlicht (und als Titelthema ausgewählt).
Enzyme werden in der Natur zum Beispiel von Bakterien genutzt, um Pflanzenteile zu zersetzen. Dass einige Enzyme, sogenannte polyesterspaltende Hydrolasen, auch PET abbauen können, ist schon länger bekannt. Als ein besonders effektiver Plastikzersetzer gilt beispielsweise das Enzym LCC, das 2012 in Japan entdeckt wurde. Nach bislang unbekannten Vertretern dieser biologischen Helfer sucht das Team um den Nachwuchswissenschaftler Christian Sonnendecker von der Universität Leipzig im Rahmen der EU-geförderten Drittmittelprojekte MIPLACE und ENZYCLE. Auf dem Leipziger Südfriedhof wurden sie fündig: Die Forscher hatten dort gezielt Proben von Laubkompost genommen und fanden in einer Probe den Bauplan eines Enzyms, das im Labor in Rekordgeschwindigkeit PET zersetzte.
Die Forscher vom Institut für Analytische Chemie hatten sieben verschiedene Enzyme gefunden und untersucht. Der siebte Kandidat mit dem Titel PHL7 erreichte im Labor deutlich überdurchschnittliche Ergebnisse: In den Versuchen gaben die Forschenden PET in Behälter mit einer wässrigen Lösung, die entweder PHL7 oder LCC, also den bisherigen Spitzenreiter bei der PET-Zersetzung, enthielt. Dann maßen sie die Menge an Plastik, die in einer bestimmten Zeitspanne abgebaut wurde, und verglichen die Werte miteinander.
PHL7 doppelt so aktiv wie der bisherige Spitzenreiter
Das Ergebnis: Innerhalb von 16 Stunden zersetzte PHL7 das PET zu 90 Prozent, in der gleichen Zeit schaffte LCC einen Abbau von gerade einmal 45 Prozent. „Unser Enzym ist also doppelt so aktiv wie der Gold-Standard unter den polyesterspaltenden Hydrolasen“, erklärt Sonnendecker. Eine Kunststoffschale, in der im Supermarkt zum Beispiel Weintrauben verkauft werden, ließ sich mit PHL7 in weniger als 24 Stunden zersetzen. Die Forscher fanden heraus, dass ein einziger Baustein des Enzyms für die überdurchschnittlich hohe Aktivität verantwortlich ist: An der Stelle, wo andere bereits bekannte polyesterspaltende Hydrolasen einen Phenylalanin (aromatische ?-Aminosäure mit hydrophober Seitenkette)-Rest enthalten, trägt PHL7 ein Leucin (proteinogene ?-Aminosäure).
Biologisches PET-Recycling weist einige Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen Recyclingmethoden auf. Diese setzen vor allem auf thermische Verfahren, bei denen der Plastikmüll bei hohen Temperaturen eingeschmolzen wird. Dieser Prozess kostet viel Energie und die Qualität des Kunststoffs sinkt mit jedem Recyclingzyklus. Enzyme hingegen benötigen für ihre Arbeit lediglich eine wässrige Umgebung und eine Temperatur von 65 bis 70 Grad Celsius. Ein weiterer Pluspunkt: Sie zersetzen das PET in seine Bestandteile Terephthalsäure und Ethylenglycol, aus denen sich im Anschluss wieder neues PET herstellen lässt – ein geschlossener Kreislauf entsteht. Bislang wird biologisches PET-Recycling jedoch nur von einer Pilot-Anlage in Frankreich erprobt.
Umweltfreundliches Verfahren zur Wiederverwendung von Plastik
„Das in Leipzig entdeckte Enzym kann einen wichtigen Beitrag bei der Etablierung von alternativen energiesparenden Plastikrecyclingverfahren leisten,“ sagt Prof. Dr. Wolfgang Zimmermann, der den Forschungsbereich zu enzymbasierten Technologien an der Universität Leipzig maßgeblich aufgebaut hat. „Aufgrund der enormen Probleme, die durch die weltweite Belastung der Umwelt mit Plastikabfällen entstanden sind, gewinnen umweltfreundliche Verfahren zur Wiederverwendung von Plastik in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft immer mehr an Bedeutung. Der jetzt in Leipzig entwickelte Biokatalysator hat sich als hochwirksam bei der schnellen Zersetzung von gebrauchten PET-Lebensmittelverpackungen gezeigt und eignet sich für eine Anwendung in einem umweltfreundlichen Recyclingverfahren, bei dem aus den Abbauprodukten wieder neues Plastik hergestellt werden kann.“
Biologisches Recycling soll kostengünstiger werden – Unterschied zwischen amorphem und gestrecktem PET
Die Forscher aus Leipzig hoffen, dass das neu entdeckte Enzym PHL7 das biologische Recycling auch in der Praxis weiter voranbringen wird und suchen dafür nach Industriepartnern. Sie sind überzeugt, dass durch die höhere Geschwindigkeit die Kosten für das Recycling deutlich reduziert werden können. In den kommenden zwei bis drei Jahren soll ein Prototyp entstehen, der es erlaubt, die ökonomischen Vorteile ihres schnellen biologischen Recyclingverfahrens genauer zu beziffern.
Die Wissenschaftler am Institut für Analytische Chemie im Arbeitskreis von Prof. Jörg Matysik wollen außerdem die Struktur und die Funktionsweise der Enzyme mittels NMR-Spektroskopie aufklären. Darüber hinaus arbeiten sie an einer neuen Vorbehandlungsmethode, die ein Problem des biologischen Recyclings lösen soll: Die PET-Zersetzung durch Enzyme funktioniert bislang nur für sogenanntes amorphes PET, das zum Beispiel für Obstverpackungen verwendet wird, nicht aber für Plastikflaschen, die aus sogenanntem gestrecktem PET bestehen.
Sie auch: „Plastikfressendes Enzym könnte Milliarden Tonnen Deponieabfälle beseitigen“ (veröffentlicht auf Solarify am 06.05.2022) – Entdeckung mit Vorläufern
Eine von Wissenschaftlern der University of Texas in Austin (UTexas) auf der Basis von Vorläuferforschungen entwickelte Enzymvariante kann umweltbelastende Kunststoffe, deren Abbau normalerweise Jahrhunderte dauert, in nur wenigen Stunden bis Tagen abbauen. Diese am 27.04.2022 in Nature veröffentlichte Entdeckung könnte dazu beitragen, eines der dringendsten Umweltprobleme zu lösen: Was tun mit den Milliarden Tonnen an Plastikmüll, die sich auf den Mülldeponien stapeln und unsere natürlichen Böden und Gewässer – vor allem die Ozeane – verschmutzen? Das Enzym hat das Potenzial, das Recycling in großem Maßstab zu beschleunigen, so dass große Industrien ihre Umweltauswirkungen durch die Rückgewinnung und Wiederverwendung von Kunststoffen auf molekularer Ebene verringern könnten. (solarify.eu/plastikfressendes-enzym-koennte-milliarden-tonnen-deponieabfaelle-beseitigen)
Wiederverwendbarkeit von PET
PET-Flaschen können beliebig oft wiederverwertet werden. PET ist der einzige Kunststoff, der in einem geschlossenen Bottle-to-Bottle-Kreislauf zu 100 % recycelt werden kann. Damit unterscheidet er sich eindeutig von herkömmlichem Einwegplastik. PET wurde in den 1940er-Jahren entdeckt. Aufgrund seines niedrigen Gewichts und seiner Haltbarkeit bietet es sich als Verpackungsmaterial an. Sein Einsatz ist sowohl vor als auch nach dem Recycling vollkommen bedenkenlos und wurde von Regierungen und Behörden auf der ganzen Welt zugelassen. Dank dieser Eigenschaften ist die Nutzung von PET in der Wasser- und Getränkeindustrie weit verbreitet – 70 % der kohlensäurehaltigen Getränke, Getränke auf Fruchtsaftbasis, verdünnbaren Getränke und Tafelwasser sind derzeit in PET-Flaschen verpackt. Aufgrund seiner hohen Recyclingfähigkeit ist PET als einziger Kunststoff mit der Nummer 1 für Kunststoffe gekennzeichnet. Ziel der Industrie ist die Einrichtung eines Bottle-to-Bottle-Kreislaufs, denn PET ist zu 100 % recycelbar. Polyethylenterephthalat ist mit etwa 6 % Anteil an der Gesamtmenge der produzierten Kunststoffe einer der bedeutendsten Thermoplaste. Ursprünglich nur für Fasern verwendet, wird heute etwa ein Viertel der produzierten Menge für Verpackungen und Halbzeuge eingesetzt. PET-Fasern werden mittlerweile auch aus recycelten PET-Flaschen hergestellt. Der größte Teil der in Deutschland produzierten PET-Flaschen wird nach Gebrauch in China zu Polyesterfasern für Fleecestoffe recycelt. Derzeit werden in Europa rund 58 % der Flaschen wiederverwertet. (aus: kunststoffe.de/polyethylenterephthalat-pet und: recycletheone.com/pet-ist-kein-einweg-kunststoff)
->Quellen:
- uni-leipzig.de/neu-entdecktes-enzym-zersetzt-pet-kunststoff-in-rekordzeit
- chemistry-europe.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/cssc.202101062
- solarify.eu/plastikfressendes-enzym-koennte-milliarden-tonnen-deponieabfaelle-beseitigen
- Originalpublikation: Dr. Christian Sonnendecker, Dr. Juliane Oeser, P. Konstantin Richter, Patrick Hille, Ziyue Zhao, Dr. Cornelius Fischer, Dr. Holger Lippold, Paula Blázquez-Sánchez, Felipe Engelberger, Prof. Dr. César A. Ramírez-Sarmiento, Thorsten Oeser, Yuliia Lihanova, Dr. Ronny Frank, Dr. Heinz-Georg Jahnke, Dr. Susan Billig, Prof. Dr. Bernd Abel, Prof.?Dr. Norbert Sträter, Prof. Dr. Jörg Matysik, Prof. Dr. Wolfgang Zimmermann: Low Carbon Footprint Recycling of Post-Consumer PET Plastic with a Metagenomic Polyester Hydrolase, in: ChemSusChem, doi.org/10.1002/cssc.202101062 – https://chemistry-europe.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/cssc.202101062, open access
- kunststoffe.de/polyethylenterephthalat-pet
- recycletheone.com/pet-ist-kein-einweg-kunststoff