Argentinien könnte Schiefergas-Lieferant werden
Im Internet kursiert ein merkwürdiger „Aktientipp“: Dank der Erschließung gigantischer Vorkommen in den Schiefergesteinsformationen im Vaca-Muerta-(„Tote-Kuh“-)Becken im Nordwesten Patagoniens steigt die Gesamtproduktion des von der argentinischen Regierung kontrollierten Öl-Konzerns YPF. Die BASF-Tochter Wintershall Dea, Total, Shell und Chevron sitzen mit im Boot. Schiefergas zeitigt auch in Argentinien Proteste.
Im Internet kursiert ein merkwürdiger „Aktientipp“: Dank der Erschließung gigantischer Vorkommen in den Schiefergesteinsformationen im Vaca-Muerta-(„Tote-Kuh“-)Becken im Nordwesten Patagoniens steigt die Gesamtproduktion des von der argentinischen Regierung kontrollierten Öl-Konzerns YPF. Die BASF-Tochter Wintershall Dea, Total, Shell und Chevron sitzen mit im Boot. Schiefergas zeitigt auch in Argentinien Proteste.
Unter der „Toten Kuh“ ist nämlich das zweitgrößte Schiefergas- und das viertgrößte Schieferölvorkommen der Welt entdeckt worden. Fracking ist zwar umstritten, dessen ungeachtet gelten fast 30 Milliarden Barrel Öl und gut 22,65 Billionen m3 Erdgas als „technisch abbaubar“. Argentinien hat bisher durch starke Winde im Süden nur als möglicher Wasserstofflieferant von sich reden gemacht. Jetzt könnte es zu einem der Energielieferanten Europas avancieren.
Der Geologe Charles Edwin Weaver entdeckte die Ölschieferschichten am Rand des Gebirgszugs Sierra de la Vaca Muerte bei Untersuchungen im Auftrag einer US-Ölfirma. 1931 veröffentlichte er seine Entdeckungen. Im Jahr 2011 bestätigte der staatliche Ölkonzern YPF (Yacimientos Petrolíferos Fiscales) diese Erkenntnisse. Die U.S. Energy Information Administration (EIA) schätzt die förderbaren Reserven auf 16,2 Milliarden Barrel Öl und 8,7 Billionen Kubikmeter Erdgas. Das entspricht einer Verzehnfachung der bis dahin bekannten Erdölreserven Argentiniens.
Die Ölschiefer-Schichten sind zwischen 60 und 520 Meter dick. Seit 2013 laufen die Vorbereitungen zur Ausbeutung des Vorkommens, bei der nichtkonventionelle Ölfördermethoden wie Fracking zur Anwendung kommen. Das Fördergebiet Vaca Muerte wurde in mehrere Blocks aufgeteilt. Wintershall ist mit 50 % an einem Joint Venture zur Ausbeutung des Blocks „Aguada Federal“ beteiligt. Die argentinische Regierung hat eine Verbesserung der Infrastruktur versprochen, unter anderem wird eine Bahnverbindung zur Küste geprüft. Im März 2018 wurden täglich 7.600 Kubikmeter Öl und 12.700.000 Kubikmeter Erdgas im Vaca-Muerta-Gebiet gefördert. Inzwischen gilt die anfangs als unretabel angesehene Ausbeutung der Vorkommen als sinnvoll, denn die Pandemie und der Ukrainekrieg haben die Preise stark steigen lassen. Es bleiben Umweltbedenken.
Die Mapuche-Konföderation von Neuquén, Menschenrechtsorganisationen und die Vereinigung von Umweltanwälten erstatteten Strafanzeige gegen die Unternehmen wegen Verstoßes gegen das Gesetz über gefährliche Abfälle und wegen „Amtsmissbrauchs und Nichterfüllung der Pflichten eines öffentlichen Bediensteten“ gegen die Umweltbehörden der Provinz. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ESCR) veröffentlichte im Oktober seinen „Vierten Periodischen Bericht über Argentinien“, in dem er auf die negativen Auswirkungen von Vaca Muerta hinwies und seine Besorgnis über die Auswirkungen auf das globale Klima betonte. „Die vollständige Ausbeutung aller Schiefergasreserven (aus Vaca Muerta) würde einen erheblichen Prozentsatz des globalen Kohlenstoffbudgets verbrauchen, um das im Pariser Abkommen festgelegte Ziel einer Erwärmung um 1,5 Grad zu erreichen“, heißt es in dem Bericht. Sie empfahl außerdem, „die groß angelegte Ausbeutung unkonventioneller fossiler Brennstoffe durch Fracking in der Region Vaca Muerta zu überdenken“, um die Einhaltung der Klimaverpflichtungen des argentinischen Staates sicherzustellen.
Vor einigen Tagen – so meldete die Tageszeitung La Nación am 25.06.2022 – gab die Regierung bekannt, dass das Land zwischen dem 01.06. und dem 30.09. 2022 täglich 300.000 Kubikmeter Gas in die chilenische Region BioBío exportieren wird, was 560 Millionen Euro einbringen wird. Gleichzeitig hätten Regierungsvertreter angedeutet, dass sie über Gasexporte nach Europa verhandeln. Allerdings erfordere der Transport von Gas in andere Weltregionen Investitionen in Höhe von 6,6 Mrd. Euro über einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren. Es gebe „viel Gas in der Welt, aber wenn wir nicht schnell anfangen, werden wir nicht zu den möglichen Lieferanten in Europa gehören“, sagte Ernesto López Anadon, Präsident des argentinischen Instituts für Erdöl und Erdgas. Vaca Muerta sei ein Projekt, das mit langfristigem Denken funktionieren könnte, mit Politikern, die insgesamt auf die Zukunft setzten. Lopez stellte klar, dass Versorgungssicherheit nicht durch lokale Reserven, sondern durch „zuverlässige“ Energielieferanten gewährleistet sei. Der „Überfluss“ an Gas wirdlaut Lopez zu „niedrigen Preisen“ führen, sagte er unter Verweis auf die Ausbeutung von Schiefergas in den USA. Gerardo Rabinovich, Vizepräsident des argentinischen Energieinstituts weist darauf hin, dass „Ressourcen“ nicht mit „Reserven“ zu verwechseln sind; Argentinien sei, selbst wenn man alles in „Reserven“ umrechnet, kein Land, das sich auf dem Niveau der großen Länder der Welt wie Russland, Iran, Katar, Australien oder die Vereinigten Staaten befinde.
In Bezug auf die derzeitige Situation – hohe Preise aufgrund des Krieges zwischen Russland und der Ukraine – wies Rabinovich darauf hin, dass es keine Gewissheit darüber gebe, wie lange sie andauern werde, und betont, dass das Energiegeschäft langfristig sei, 15 bis 20 Jahre, eine Zeit, die es erlaube, die Investitionen zu amortisieren. Heute gebe es eine Chance, die aktuelle Situation zu nutzen. Doch die meisten Fachleute sind sich einig, dass Argentinien zwar über das Gas und das Potenzial verfügt, es zu fördern und zu exportieren, dass aber derzeit die Voraussetzungen für die erforderlichen Mega-Investitionen nicht gegeben sind. Fernando Damonte von Quantum America schildert, dass das Land unter den Bedingungen des freien Marktes 1997 über Reserven für 20 Jahre verfügte, ohne dass neue Bohrlöcher entdeckt wurden, aber als der Staat eingriff, sanken sie auf weniger als zehn Jahre. „Vaca Muerta ist vorhanden, was nicht vorhanden ist, ist der Kontext“, fasst er zusammen. Die „Chance“, aus Argentinien zu exportieren, liege nicht nur bei 25 Millionen BTU, sondern sogar bei Preisen von 10 oder 11 US-Dollar vor der Pandemie: „Schiefer ist bei 4 US-Dollar pro Million BTU (British Thermal Unit) rentabel; jetzt gibt es eine Chance, die durch gute internationale Preise noch verstärkt wird. Das System funktioniert am besten bei freiem Wettbewerb; wenn der Staat eingreift, sieht der Hersteller ein hohes Risiko. Wenn wir mehr exportieren, werden auch die Investitionen in die Pipeline weniger belastend“.
Das Gas von Vaca Muerta ist reich an Butan und Propan, internationalen Rohstoffen von hohem Wert und erfreut sich großer Nachfrage in der Welt. Ethan – das vom Gas abgetrennt wird – ist der „Eckpfeiler“ der Gaschemie. Es kann zum Beispiel in Polyethylen umgewandelt werden, das einen Mehrwert schafft und Arbeit erzeugt“. Es könnte fünf bis sechs Jahre dauern, bis Argentinien in der Lage ist, mit dem Export von Gas in Länder außerhalb der Region zu beginnen. Die weltweite Nachfrage nach dem Kraftstoff wird anhalten, da die Welt Fortschritte bei der Energiewende macht. Selbst die fortschrittlichsten Länder im Bereich der erneuerbaren Energien haben immer noch einen Anteil von 60 % an fossilen Brennstoffen.
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