AKW Doel 3 vom Netz

Belgische Angst: Nuklearkonzern Engie trennt sich eilig vom ersten seiner sieben Pannen-AKW

Belgien hat den ersten der sieben pannenreichen Atomkraftwerke des Landes vom Netz genommen, obwohl es im Brüsseler Regierungskabinett ein letztes Aufbäumen gegen die Abschaltung gab. Am 23.09.2022 nahm das Betreiberunternehmen Engie den Kraftwerksblock Doel 3 dauerhaft vom Netz, schreibt Tilman Weber am 25.09.2022 auf ERNEUERBARE ENERGIEN. Die damit eingeleitete Stilllegung des knapp mehr als 1.000 Megawatt (MW) leistenden Reaktors startete somit gut eine Woche vor dem gemäß staatlicher Vorgaben anvisierten Abschaltungsdatum 01.10.2022.

Das Betreiberunternehmen Engie Electrabel hatte den Direktor der Anlage, Peter Moens, zuletzt bestätigen lassen, dass es „weder klug noch ratsam“ sei, die Stilllegung des Gigawattblockes noch zu verschieben, auch aufgrund ungelöster Sicherheitsfragen, wie Medienberichterstatter in Belgien am Freitag übereinstimmend zitierten. Damit schaltet das bisher zu gut der Hälfte mit Atomstrom versorgte Nachbarland einen seiner sieben Atomkraftwerke ab. In dessen Reaktordruckbehälter waren bei einer Inspektion vor zehn Jahren tausende feine Risse zutage getreten. Engie Electrabel hatte Doel 3 seither immer wieder als Vorsichtsmaßnahme vom Netz nehmen und dessen Sicherheitsmängel überprüfen lassen müssen. Der Reaktor ist 40 Jahre alt. Dies gilt als technisch kritisches Alter für Atomreaktoren.

Mit der Stilllegung von Doel 3 beginnt nun eine neue Phase mit neuen Aktivitäten:

  • Kurz nach der Abschaltung wird der Reaktor ein letztes Mal geöffnet, um die Brennelemente herauszunehmen und sie in die Abklingbecken zu verbringen.
  • Um die Anlagen weitestmöglich von Radioaktivität zu befreien, wird der Primärkreislauf mit einer chemischen Lösung ausgespült. 
  • Im Frühjahr 2023 wird damit begonnen, die bereits ausreichend abgekühlten Brennelemente (aus früheren Betriebszyklen des Reaktors) aus den Abklingbecken in spezielle Lager- und Transportbehälter umzuladen. Die vollständige Entleerung der Abklingbecken wird mehr als vier Jahre in Anspruch nehmen.
  • Parallel dazu werden die Mitarbeiter des Kernkraftwerks nach und nach alle technischen Systeme außer Betrieb nehmen. Nur solche Systeme, die für die Kühlung der Abklingbecken bzw. den Betrieb der anderen Reaktoren erforderlich sind, bleiben in Betrieb.
  • Sobald auch die Abklingbecken vollständig entleert und gereinigt sind, werden 99 % der gesamten Radioaktivität aus den Doel-3-Anlagen verschwunden sein. Zu diesem Zeitpunkt kann Electrabel mit dem vollständigen Rückbau des Kraftwerks beginnen. Nach den derzeitigen Planungen soll mit dem Rückbau im Jahr 2026 begonnen werden. 

Allerdings hatte Belgiens aktuelle Regierung im März beschlossen, den 2003 besiegelten Atomenergie-Ausstiegsfahrplan mit dem Abschalten der sieben Meiler bis Ende 2025 durch einen neuen Fahrplan mit einer teilweisen Laufzeitverlängerung um zehn Jahre zu ersetzen. Demnach sollen Doel 3 nun und am 1. Februar 2023 Tihange vom Netz gehen. Weitere drei Blöcke sollen 2025 folgen. Aber Doel 4 sowie Tihange 3 werden so noch bis 2035 Strom erzeugen. Ein Parlamentsbeschluss muss diesen neuen Fahrplan noch 2023 bestätigen – im Hinblick auf mögliche Engpasssituationen der belgischen Stromversorgung. Die Politik in Brüssel will damit nicht zuletzt den Gasversorgungskonflikt der Europäischen Union mit dem in der Ukraine kriegsführenden Gasexportland Russland berücksichtigen. Und Mitte März hatte die christdemokratische Innenministerin des Landes sogar darauf gedrängt, ein Aussetzen der geplanten Schließung von Doel 3 zu erwägen. In der parteipolitisch sehr breiten Regierungskoalition hatten sich 2020 Bündnispartner von den Grünen über wirtschaftsliberale bis zu christdemokratischen und sozialdemokratischen Parteien zusammengeschlossen.

„Die endgültige Stilllegung von Doel 3 ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte unseres Standorts. Unsere Mitarbeiter haben den Rückbau von Doel 3 sorgfältig vorbereitet; es handelt sich um Baumaßnahmen von bisher in Belgien unbekanntem Ausmaß. Ich weiß, dass ich auf unsere Mitarbeiter zählen kann, dass sie diese neue Phase mit demselben Engagement und Einsatz wie bisher angehen werden. Eines wird sich auf jeden Fall nicht ändern: Die nukleare Sicherheit wird stets unsere oberste Priorität bleiben, bis zum letzten Tag.“ (Peter Moens, Direktor des Kernkraftwerks Doel)

Es sei in der Atomkraft nicht so, dass sich dort Entscheidungen „von heute auf morgen“ treffen ließen – sagte Moens im Hinblick auf die Forderungen nach dem Weiterbetrieb gerade einmal zehn Tage vor der jetzt erfolgten Abschaltung. Gleichwohl deutete der Engie-Electrabel-Mann auch an, dass die Abschaltung bis zum Start der eigentlichen Abrissarbeiten ab Mitte des Jahrzehnts nicht unumkehrbar sei. Technisch lasse sich der Meiler noch einmal reaktivieren, auch wenn der jetzt beginnende Prozess des allmählichen Abklingens der Reaktorprozesse schon gestartet sei.

Belgien erzeugt den Atomstrom des Landes an den beiden Standorten Doel und Tihange. Während in Doel bis zur Abschaltung von Block 3 vier Reaktorblöcke mit zusammen mehr als 2.900 MW aktiv waren, arbeitet Tihange in drei Blöcken derzeit noch mit 3.150 MW. Auch der nächste vom Netz gehende 1000-MW-Meiler Tihange 2 wird zum Zeitpunkt der Abschaltung etwa 40 Jahre in Betrieb gewesen sein. Auch Tihange 2 hatte häufig aus Sicherheitsgründen pausieren müssen. Die nun wohl noch bis 2025 aktiven Blöcke Doel 1 und 2 sowie Tihange 3 werden hingegen am Ende auf bis zu fast 50 Jahre Laufzeit gekommen sein, wenn Engie Electrabel dann ihre Leistung von zusammen rund 1.850 MW aus der Stromversorgung nimmt. Und dieselbe Laufzeit hat Belgiens Koalition nun auch für die zehn Jahre jüngeren Blöcke Doel 4 und Tihange 3 vorgesehen. Sie leisten jeweils 1.040 MW.

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