Anhörung im Bundestag: „Eigentum in Bezug auf personenbezogene Daten“ contra „Recht auf Vergessenwerden“
Was ist das Metaverse und wie sollte man mit diesem neuen digitalen Raum umgehen? Damit hat sich – so der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag – der Digitalausschuss in einer öffentlichen Anhörung am 14.12.2022 befasst. Die geladenen Sachverständigen bewerteten die Chancen und Risiken zum sogenannten Web 3.0 und dem Metaverse des Facebook-Konzerns Meta sehr unterschiedlich – während einige Potenziale hervorhoben, sprach die Mehrheit von einem „Hype“, der von der Angst getrieben sei, den Anschluss zu verpassen.
Web 3.0, auch als semantisches Web bezeichnet, und das Metaverse beziehen sich auf Ideen, wie die Zukunft unserer digitalen Präsenz aussehen soll. Mit dem Web 3.0 ist die Vision eines dezentralen Internets verbunden, in der die Blockchain-Technologie zentral ist. Das Metaverse soll eine digitale Alternative zur physischen Welt darstellen – eine Art Nachfolger des Internets in 3D, auf das Nutzer mittels Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) zugreifen können sollen.
Malte Engeler, Richter am Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein, betonte, dass ein Blockchain-basiertes und eigentumsrechtlich aufgeladenes Web3 fundamentalen rechtspolitischen, grund- und datenschutzrechtlichen Bedenken begegne. Er plädierte, der technologischen und rechtlichen Etablierung wie etwa in einem Metaverse entschieden entgegenzutreten. Ein zentraler Kritikpunkt sei aus seiner Sicht die Einführung der Kategorie „Eigentum“ etwa in Bezug auf personenbezogene Daten. In diesem Kontext nannte Engeler auch den grundrechtlich anerkannten Zweck des Rechts auf Vergessenwerden, das mit der Blockchain-Technologie nicht vereinbar sei, da Einträge nur ergänzt, aber nicht gelöscht werden können.
Sehr kritisch äußerte sich auch Jürgen Geuter (Art+Com und Otherwise Network), der von „hyperkapitalistischen Strukturen“ sprach. Über Blockchains werde bereits seit 14 Jahren gesprochen und trotzdem hätten die Verfechter nichts vorzuweisen. Das Internet habe „mehr Ernsthaftigkeit verdient“, sagte Geuter. Der digitale Raum müsse verteidigt und gestaltet werden, bestehende Regelwerke müssten angewandt und das partizipative Internet gefördert werden, lautete seine Einschätzung auch im Hinblick auf den auf der Strecke bleibenden Verbraucherschutz beim Web 3.0.
Bedenken kamen auch von Softwareentwicklerin Lilith Wittmann. Sie sagte, das Web 3.0 sei eine Idee, Daten maschinenlesbar zu verknüpfen und offene Daten gut nutzbar für alle bereitzustellen. Linked Open Data sei zwar ein Konzept mit Potenzial für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Blockchain hingegen berge insbesondere in Kombination mit personenbezogenen Daten eine lange Liste von Risiken. Der Abfluss personenbezogener Daten könne beispielsweise nicht rückgängig gemacht werden. Sie betonte den überschaubaren Nutzen von Blockchain-Projekten und kritisierte, dass Deutschland „der Innovation wegen“ signifikant in diese investiere. Nicht oder zu wenig berücksichtigt würden soziale Auswirkungen der Technologie.
Boris Hollas von der HTW Dresden betonte, dass mit dem Web 3.0 viele Hoffnungen und Erwartungen, unter anderem an ein „besseres und gerechteres“ Internet verbunden seien. Wie dies technisch funktionieren solle, sei jedoch unklar. Die Blockchain-Technologie benötige viel Speicherplatz, Bandbreite und Rechenleistung (und Energie), da sämtliche Daten in der Blockchain gespeichert würden – besonders für die mobile Nutzung sei dies problematisch. „Für globales Internet ist die Blockchain denkbar ungeeignet“, sagte Hollas hinsichtlich der Skalierbarkeit, für kleine Datenmengen funktioniere sie gut.
Darauf, aktuelle Entwicklungen nicht in überbordenden Bedenken zu ersticken, verwies hingegen Sebastian Klöß (AR/VR & Metaverse, Bitkom e.V.). Wir stünden momentan da, wo man beim Internet in den späten 1990er Jahren gestanden habe: Die wenigsten hätten sich damals die Nutzung des Smartphones so wie heute vorgestellt, sagte Klöß. Die Anwendungsmöglichkeiten und Potenziale des Metaverse seien riesig, auch mit Blick auf den Industriesektor. Web 3.0 und Metaverse setzten eigene Schwerpunkte und böten große Chancen, dass Nutzer Inhalte selbst besäßen, kontrollierten und monetarisierten, sagte Klöß. Laut einer Bitkom-Studie hätten sich jedoch nur sechs Prozent der Unternehmen bereits mit dem Thema befasst.
Dass die Sichtbarkeit gesteigert werden müsse, betonte auch Philipp A. Rauschnabel von der Universität der Bundeswehr in München. Er plädierte dafür, die Forschung dazu zu stärken. Im Unterschied zum Web 3.0 und im Hintergrund laufende Prozesse werde das Metaverse Prozesse sichtbar verändern, sagte Rauschnabel. In absehbarer Zeit werde aber nicht das bisherige Internet ersetzt, sondern vielmehr das Bestehende erweitert oder ergänzt, stellte er klar. Wir seien es gewohnt, im dreidimensionalen Raum zu interagieren, deswegen würden Nutzer im Metaverse mehr „tauchen“ als „surfen“, da man Teil dessen sei, prognostizierte er. Offen sei noch, wie etwa Geschäftsmodelle adaptiert würden.
Elizabeth Renieris (Hackylawyer, Oxford Institut für Ethics in Artificial Intelligence) sagte, es bestehe die Gefahr, dass die kommerzielle Ausbeutung von Individuen durch digitale Interaktionen wie etwa durch intelligente Verträge (Smart Contracts) verschärft werde. Gesetzgeber und politische Entscheidungsträger sollten aus ihrer Sicht versuchen, die Last der Darlegung und des Nachweises eindeutiger Vorteile auf die Befürworter zu übertragen. Renieris verwies auch auf die Notwendigkeit einer barrierefreien Gestaltung von virtuellen Räumen, um Inklusion und Zugänglichkeit zu fördern.
Der Journalist Ludwig Siegele (The Economist) sprach von einem „Buzzword“, das über den Atlantik gewandert sei und warnte davor, die Pläne von Meta zu ernst zu nehmen – gleichzeitig fehle in Deutschland eine Debatte darüber, wie die digitale Wirtschaft der Zukunft aussehen solle, bemerkte er. Grundsätzlich werde deutlich, dass ein neuer ökonomischer Raum entstehe, der immer wichtiger werde. Um europäische Werte durchzusetzen, müssten Lösungen gefunden werden, die einen „dritten“ Weg darstellten und bei denen Blockchain helfen könne, sagte Siegele.
Das Versprechen der großen Potenziale von Blockchain und Probleme beim Konzept des Eigentums an den eigenen Daten sprach auch die Sachverständige Molly White (Library Innovation Lab Harvard University) an. In einer Blockchain gespeicherte Nutzerdaten seien dadurch noch mehr Marketingfirmen und Datenanalyse-Unternehmen zugänglich, sagte sie. Die Machtverteilung bei Blockchain-Projekten bleibe enorm zentralisiert. Mit Blick auf die Krypto-Branche, die sich gegen Regulierungen und Verbraucherschutzmaßnahmen positioniert habe, sagte White, habe sich gezeigt, dass es mangels Regulierung vor allem zu Innovationen in den Bereichen Betrug und Diebstahl gekommen sei. (hib/LBR)