Artikel von Michael Weiland auf Greenpeace.de
Eine Untersuchung des Analyse-Instituts Enervis im Auftrag von Greenpeace und Green Planet Energy vom Der Abschied von der Atomkraft fällt leicht“. Auch wenn die aktuellen Rückzugsgefechte der Atomkraft-BefürworterInnen anders klängen: Der deutsche Atomausstieg sei nach dem Fukushima-GAU 2011 in einem breiten gesellschaftlichen Konsens beschlossen worden.
Das ursprünglich anberaumte Ausstiegsdatum Ende 2022 hat eine Koalition aus CDU/CSU und FDP festgelegt; den weiterführenden Streckbetrieb, der an diesem Samstag endet, hat – Ironie des Schicksals – ein grüner Wirtschaftsminister angeordnet. Am 15. April ist Atomkraft zur Stromerzeugung in Deutschland Geschichte, endgültig. Nichts hat sich an der Sachlage verändert, die zum Ausstieg geführt hat: Die Zweifel an der Sicherheit der AKW sind heute so berechtigt wie damals. Selbst Markus Söder, 2011 Umweltminister in Bayern und heute Befürworter längerer Laufzeiten, sagte damals gegenüber der Süddeutschen Zeitung: “Die Laufzeitverlängerung ist nur dann vertretbar, wenn Sicherheit absolute Priorität vor Wirtschaftlichkeit hat.” Demnach wäre sie heute ohnehin kein Thema mehr: Im Jahr 2023 ist die letzte periodische Sicherheitsüberprüfung der deutschen Atomkraftwerke 14 Jahre her, laut Atomgesetz ist eine weitere seit vier Jahren überfällig.
Aber wie sieht es überhaupt mit der Wirtschaftlichkeit aus? Hat der Streckbetrieb über den Winter 2022/’23 etwas gebracht? Eine Studie des Analyse-Instituts Enervis hat diese Fragestellung im Auftrag des Ökoenergieanbieters Green Planet Energy und von Greenpeace untersucht und kommt zum Schluss: Die Stromversorgung in Deutschland war im vergangenen Winter auch ohne Atomkraftwerke jederzeit gesichert, die Auswirkungen auf den Strompreis waren zu vernachlässigen. “Die ohnehin gedrosselte Stromerzeugung der drei Reaktoren hätte zu jeder Zeit durch verfügbare Gaskraftwerke ersetzt werden können“, sagt Studienleiter Tim Höfer von Enervis.
Streckbetrieb bedeutet, dass die Leistung der Reaktoren stärker eingeteilt wird: Die ohnehin nicht mehr voll leistungsfähigen (weil nahezu verbrauchten) Brennelemente werden so eingesetzt, dass die Kraftwerke auch tatsächlich bis Mitte April Strom liefern können. Laut Enervis-Studie sank die Stromerzeugung der drei AKWs zwischen November 2022 und April 2023 darum auf rund 12,2 Terawattstunden Strom. Das sind etwa 30 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum der letzten fünf Jahre.
AKW keine Lösung in der Krise
Weswegen der Atomausstieg von der Bundesregierung überhaupt noch einmal aufgemacht wurde, lag in der Sorge, dass durch den Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland nicht ausreichend Gas zur Verfügung stehen könnte. Die Studie zeigt, dass Atomkraftwerke für diese Aufgabe völlig ungeeignet sind. Das Ziel, durch den AKW-Weiterbetrieb nennenswerte Mengen an knappem Erdgas einzusparen, hat sich kaum erfüllt: Insgesamt sank dadurch der Erdgasverbrauch um 2,2 Terawattstunden, was nur etwa 0,3 Prozent des bundesweiten Gasverbrauchs entspricht. Als viel effizienter erwies sich der bewusste Einsatz von Gas, so Heinz Smital, Atomenergie-Experte bei Greenpeace: “Sparsamer Umgang brachte 23 Prozent weniger Gasverbrauch bei der Industrie und 21 Prozent bei Haushalten. Das ist mehr als das 60-fache dessen, was man durch Atomkraftwerke erreicht hat. Das zeigt, es wäre viel wichtiger über die Möglichkeiten der Einsparung und effizienten Nutzung zu sprechen als über Laufzeiten von Atomkraftwerken.”
Das vielfach vorgebrachte Argument, dass mehr Atomstrom weniger CO2-Emissionen durch Kohlekraftwerke bedeutet, verliert angesichts der Enervis-Zahlen seine Berechtigung: Tatsächlich produzierten fossile Kraftwerke angesichts des zusätzlich eingespeisten Atomstroms insgesamt rund 2,4 Terawattstunden weniger Strom. Doch der Effekt ist ausgesprochen gering: Die damit einhergehenden CO2-Emissionen sanken lediglich um 0,2 Prozent verglichen mit dem gesamten CO2-Ausstoß in Deutschland im Jahr 2022. Hier müssen ganz andere Größenordnungen erreicht werden, insbesondere durch den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien.
Noch geringer ist der dämpfende Einfluss der Laufzeitverlängerungen auf die Strompreise. Diese gingen – bei einem durchschnittlichen Preis im Kurzfristhandel von 235 Euro pro Megawattstunde – im Winter lediglich um zwei Euro/MWh zurück und stiegen im Jahr 2022 sogar leicht um 0,2 Euro/MWh.
Unterm Strich: Streckbetrieb für (fast) nichts
Der Erfolg des Streckbetriebs liegt irgendwo in den Nachkommastellen – das ist deutlich zu wenig Ausbeute für das Risiko, das von Atomkraftwerken ausgeht, deren Sicherheitsüberprüfung seit Jahren aussteht. Ein verhältnismäßig milder Winter hat dazu beigetragen, dass die befürchtete Energieknappheit weitgehend ausblieb – die Studie zeigt aber auch, dass die geringen Kapazitäten der verbliebenen AKW einer Krise nichts entgegenzusetzen haben. “Die heftige politische Diskussion um Laufzeitverlängerungen ist verfehlt”, schließt Smital aus der Studie. “Der Ausbau der Erneuerbaren, Einsparungen und Effizienz sind weitaus wichtiger.”
Die Lehre daraus ist nicht, mehr Atomkraftwerke zu reaktivieren oder gar zu bauen: Der Blick ins europäische Ausland zeigt, dass Atomkraft teuer und unzuverlässig ist. Frankreich mit seiner Abhängigkeit von Atomenergie zeigt Sommer um Sommer, dass die Technologie gerade gegenüber der Erderhitzung nicht widerstandsfähig ist: Warme Flüsse mit niedrigem Wasserstand können die dortigen Anlagen nicht kühlen, Reaktoren müssen deswegen heruntergefahren werden. Stattdessen importiert Frankreich Strom – aus Deutschland.
Die Lösung sind erneuerbare Energien. Die sind zuverlässig, günstig, lassen sich im eigenen Land produzieren und schaffen keine langfristigen Abhängigkeiten wie fossile Energien. Die Atomkraft ist am Ende: Deutschland macht den Anfang – aber auch der europaweite Ausstieg aus der Risikotechnologie zeichnet sich ab, allen Beteuerungen des Gegenteils zum Trotz.
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