Super-Dämmmaterial aus Pflanzenrohstoffen

Start-up mit TU Hamburg-Beteiligung stellt nachhaltige Aerogele her

Kleine Poren, große Wirkung – Aerogele bestehen aus kleinen Poren bestehen. Das verleiht ihnen eine außergewöhnlich große Oberfläche und macht sie zu einem extrem leichten Material, das besonders gut als Wärmedämmung, Träger- oder Filtermaterial eingesetzt werden kann. Dem Start-up aerogel-it ist es laut einer Medienmitteilung der TU Hamburg vom 14.03.2023 gelungen, Aerogele auf biologischer Basis mit für den industriellen Einsatz relevanten Eigenschaften herzustellen. Mit dabei sind auch drei Forschende der TU Hamburg.

Aerogele sind millimeterkleine Kügelchen, die zu 90 Prozent aus feinsten, luftgefüllten Poren bestehen – Foto © TU Hamburg

Aerogele wurden bisher vor allem aus fossilen und energieintensiv gewonnenen Rohstoffen ausgehend von Siliziumdioxid hergestellt. Das Start-up aerogel-it hat sich zum Ziel gesetzt, Aerogele auf Biobasis herzustellen. „Wir verwenden unter anderem das Biopolymer Lignin. Das ist ein Pflanzenrohstoff aus Holz, der als Nebenprodukt bei der Papierherstellung anfällt“, sagt Mitgründer und Geschäftsführer Dr. Marc Fricke. Er sieht hier das Alleinstellungsmerkmal seines Start-ups: „Wir sind die Ersten, denen es gelungen ist, 100-prozentige Bio-Aerogele aus Lignin herzustellen, die nachhaltig und industriell einsetzbar sind.“ Und auch in der Weiterverarbeitung punktet das Produkt mit Nachhaltigkeit. Denn die Aerogele können unter anderem als Hochleistungsdämmstoff eingesetzt werden und zahlen so auf einen reduzierten Energieverbrauch ein.

Vom Nebenprodukt zum Dämmmaterial

Bei der Herstellung wird das Lignin zunächst in Wasser gelöst. Durch eine Vernetzungsreaktion entsteht im Anschluss eine Art Gel, eine feine Netzwerkstruktur, in der das Wasser eingeschlossen wird. Das Wasser im Gel wird gegen Alkohol ausgetauscht. Der Alkohol wird anschließend in einem speziellen Hochdruckprozess entfernt, so dass nur die feine Netzwerkstruktur als trockenes Material zurückbleibt. Ergebnis ist ein Granulat, millimeterkleine Kügelchen, das zu 90 Prozent aus feinsten, luftgefüllten Poren besteht.

Der Wärmedämmstoff kann als Granulat oder als gepresste Platten verwendet werden. Das Anwendungsgebiet der neuen Technologie ist groß: Der Stoff eignet sich für Bauanwendungen, aber auch für Kühlgeräte, Transportboxen oder – ganz anders – als Träger von Duftstoffen. „Wir sind im Austausch mit einem Hersteller programmierbarer Duftkerzen. Die Porenstruktur unserer Aerogele ermöglicht es, besonders viel Duftstoff aufzunehmen und über einen langen Zeitraum in konstanter Qualität wieder freizusetzen“, so Dr. Fricke. Die Nachfrage sei insgesamt groß. Schließlich helfe das Produkt den Kunden, ihre CO2-Bilanz zu verbessern und gleichzeitig ihre Produktqualität zu steigern. Aktuell gilt es, Investoren zu finden, um eine erste industrielle Produktion aufbauen zu können.

Zu den Gründern

Von den insgesamt sieben Gründern sind auch drei teils ehemalige Angehörige der TU Hamburg Teil des Start-ups: Dr. Raman Subrahmanyam, Prof. Pavel Gurikov und Alberto Bueno vom Institut „Thermal Separation Processes“ von Prof. Irina Smirnova. Entstanden ist die Idee 2020 aus der gemeinsamen Arbeit mit dem Chemiekonzern BASF, über die die Gründer sich kennengelernt haben. Schon damals wurde eng mit der TU Hamburg und dem Institut zusammengearbeitet. Die Forschung und Weiterentwicklung findet bis heute im Technikum auf dem TU-Campus statt.

Bedeutende Wirtschaftszweige wie die Bauindustrie, die Logistikbranche oder die Fahrzeugindustrie stehen vor der gewaltigen Aufgabe, Energie zu sparen, CO2-Emissionen zu reduzieren und klimaneutral zu werden. Der Verbrauch von Ressourcen, hoher Energiebedarf bei Herstellung und Betrieb sowie resultierende Abfallströme sorgen für große Herausforderungen und Veränderungsdruck. Dieser Trend sorgt weltweit für einen enormen Bedarf an nachhaltigen, hocheffizienten Materiallösungen.

In unsanierten Altbauten geht ein Viertel der Heizenergie über Außenwände und ein Fünftel über das Dach verloren, sagt die Initiative „Zukunft Zuhause – Nachhaltig sanieren“ der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Wärmedämmung könnte dem abhelfen. Derzeit werden aber im Jahr nur rund ein Prozent der Gebäude energetisch saniert. Dieser Anteil muss deutlich erhöht werden: „Um Energieverbrauch und Emissionen dauerhaft zu senken und gleichzeitig die Abhängigkeit von Gasimporten zu reduzieren, brauchen wir dringend energieeffizientere Gebäude“, sagt DBU-Generalsekretär Alexander Bonde.

Bio-basierte Aerogele von Aerogel-it sind High-Tech Produkte, die aufgrund des vielseitigen Eigenschaftsprofils zunächst als Hochleistungswärmedämmstoffe sowie im Bereich der Wirkstoffaufnahme und –freisetzung zum Einsatz kommen. Die DBU unterstützt das Vorhaben fachlich sowie finanziell mit 125.000 Euro.

Die von der Bundesregierung festgelegten Klimaziele für den Gebäudesektor hat Deutschland im vergangenen Jahr laut aktueller Analyse der Denkfabrik „Agora Energiewende“ verfehlt: Trotz Einsparungen aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands wurde demnach zu viel klimaschädliches CO2 ausgestoßen. Ein entscheidender Grund: Viele Innenräume in Deutschland werden nach wie vor mit fossilen Brennstoffen wie Öl oder Gas geheizt.

Super-Dämmung reduziert Energieverbrauch und -kosten

Aerogele sind sogenannte Super-Dämmstoffe, die „extrem leicht sind und fast vollständig aus mikroskopisch kleinen Poren bestehen“, sagt Dr. Michael Schwake, DBU-Experte für Umwelttechnik. Dadurch würden sie Wärme nur sehr schlecht transportieren. Die Folge: „Eine Aerogel-Dämmung verhindert viel stärker als herkömmliches Material einen Wärmeverlust – Energieverbrauch und Kosten sinken erheblich“, sagt Schwake. Aerogele können aus verschiedenen Stoffen hergestellt werden. Das Problem: „Bisher basieren sie fast ausschließlich auf fossilen oder energieintensiv gewonnenen Rohstoffen, zum Beispiel silikatischen Mineralen“, erklärt Schwake. Zudem waren Aerogele aufgrund der aufwendigen Herstellung stets teuer.

Biobasierter und hocheffizienter Aerogel-Dämmstoff aus Nebenprodukt

Die Gründer des Osnabrücker Startups aerogel-it haben eine ursprünglich vom Chemiekonzern BASF entwickelte Technologie weitergeführt. Das Innovative dabei: „Uns ist es erstmalig gelungen, einen Hochleistungsdämmstoff herzustellen, der vollständig biologischen Ursprungs ist“, sagt Dr. Marc Fricke, Geschäftsführer und Mitgründer von aerogel-it. Als Basis dient Lignin, „ein Pflanzenrohstoff und neben Zellulose der wichtigste Bestandteil von Holz, der unter anderem für die Stabilität von Bäumen sorgt“, so Fricke. Lignin fällt zum Beispiel als Nebenprodukt bei der Papierherstellung an und wird laut Fricke bislang kaum sinnvoll verwertet. Mit dem Lignin-Dämmstoff will das junge Unternehmen also nicht nur Energieverbrauch und CO2-Emissionen reduzieren, sondern gleichzeitig (fossile) Ressourcen einsparen.

Ein weiterer Vorteil: Die Aerogel-Dämmung ist im Gegensatz zur herkömmlichen Isolierung dünner und leichter. „Das schafft neben der Energieeinsparung zugleich mehr Platz in Gebäuden, die auf dem Immobilienmarkt somit zusätzlich an Attraktivität gewinnen“, sagt Fricke. Darüber hinaus könne der biobasierte Dämmstoff nach der Nutzung wiederverwertet oder gar wiederverwendet werden. Die Kosten und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Materials hat das Team Fricke zufolge dabei stets im Blick – zusammen mit der Kooperationspartnerin Prof. Dr. Irina Smirnova von der Technischen Universität Hamburg-Harburg sowie weiteren Partnern entwickelt das junge Unternehmen eine neue Generation kosteneffizienter und intelligenter Aerogel-Produktionstechnologie.

Mit DBU-Förderung Forschung voranbringen und erste Prototypen testen

Nicht nur in Gebäuden, sondern auch in Kühlgeräten und Funktionskleidung kann der Bio-Superdämmstoff aus Osnabrück nach Frickes Worten künftig eingesetzt werden. Je nach Anwendung könne das Startup dafür Pulver, Granulat oder Platten herstellen. Mit der DBU-Förderung möchte das fünfköpfige Team die Forschung voranbringen und Prototypen testen. „Wir wollen uns als weltweit erstes Bio-Aerogel-Unternehmen am Markt etablieren und so schnell wie möglich unsere Kundinnen und Kunden bedienen“, sagt Fricke. Im nächsten Jahr soll zudem eine eigene Produktionsanlage in Wallenhorst im Landkreis Osnabrück in Betrieb gehen. Dafür sucht aerogel-it aktuell Investoren.

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