Ist die Energiewende auf Kurs?
Ein neues Werkzeug von Klimaforschern zeigt ab sofort an, wo es bei der Energiewende hakt. Der „Transformation-Tracker“ ist heute online gegangen. Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will, muss das Energiesystem in nie dagewesenen Tempo umgebaut werden. Der Transformation-Tracker nimmt rund 40 konkrete Schlüsselindikatoren für den Fortschritt der Energiewende in den Blick und vergleicht Ist-Daten mit Zielpfaden aus den Ariadne-Szenarien. Wie der Vize-Leiter des Ariadne-Projekts und Experte des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Gunnar Luderer, sagte, sind die Ergebnisse ziemlich ernüchternd. „Unsere Analysen zeigen: Um auf Kurs zur Klimaneutralität zu kommen, geht es mit den Fortschritten der Energiewende in den meisten Bereichen zu langsam voran.“
(Lange) fossile Zukunft wird mitbestellt
Denn es habe sich gezeig (was kaum wundernahm) dass gerade bei längerlebigen Anschaffungen noch viel zu tun sei. „Neue Benziner oder Diesel fahren im Durchschnitt 18 Jahre auf den Straßen, neue Gasheizungen sind 15-25, teils sogar 30 Jahre in Betrieb.“ Damit werde die fossile Zukunft – also die klimaschädliche Verbrennung von Kohle, Öl und Gas – meistens gleich mitbestellt.
Wie funktioniert die Bewertung?
Für jeden Indikator wird der Fortschritt der Transformation bebestimmt. Dazu wird die tatsächliche Entwicklung des Indikators seit dem Referenzjahr 2019 (Referenzwert) bis zum letzten verfügbaren Ist-Wert (Aktueller Wert) ins Verhältnis zur Entwicklung des Leitmodells im Ariadne-Zielpfad (Modellwert) im selben Zeitraum gesetzt.
Überblick über die Indikatoren
Kompakte Informationen zu jedem Indikator auf einen Blick: Wie hat sich der Indikator aktuell entwickelt? Wie sieht der entsprechende Zielpfad im Ariadne-Szenario aus? Welche Bewertung für den aktuellen Fortschritt leitet sich daraus ab? Was ist der Zielkorridor, der sich aus allen Ariadne-Szenarien und Modellen für den Indikator ergibt? Aufgeteilt sind die Indikatoren in die Bereiche
- Gesamtsystem
Um Klimaneutralität in Deutschland in 2045 zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen so weit reduziert werden, dass ein Gleichgewicht zwischen den Restemissionen und deren Senken, z.B. Kohlenstoffaufnahme durch Wälder und Böden, entsteht. Es muss das sogenannte Ziel der “Netto-Null”-Emissionen erreicht werden. In 2020 waren fast 90% der Treibhausgasemissionen Deutschlands CO?-Emissionen. Weil die übrigen 10% – zumeist Methan und Lachgas aus der Landwirtschaft – besonders schwer zu vermeiden sind, muss Deutschland bereits einige Jahre vor Erreichen der Klimaneutralität annähernd CO?-neutral werden. Das ist gleichbedeutend mit dem nahezu vollständigen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger, da die Möglichkeiten zur Entnahme und Speicherung von CO? in Deutschland stark begrenzt sind. Kernstrategien zur Reduzierung der CO?-Emissionen sind (1) die Dekarbonisierung des Stromsystems, (2) der effiziente Einsatz von Energie, (3) die Elektrifizierung der Endnutzung und (4) die Umstellung auf CO?-freie Brennstoffe. Ziel ist daher ein umfassender und auch schneller Umbau des gesamten deutschen Energiesystems: Bis 2030 ist laut Klimaschutzgesetz bereits eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen um mindestens 65% gegenüber 1990 notwendig, bis 2040 um 88%. - Energiewirtschaft
Die Energiewirtschaft umfasst die Energiegewinnung, die Energieumwandlung und die Bereitstellung von Energie zur Endnutzung. Dazu zählt beispielsweise die Förderung fossiler Energieträger wie Braunkohle oder Erdgas, die Stromerzeugung in Kohle- und Gaskraftwerken, ebenso die Gewinnung von Strom aus erneuerbarer Energie, aber auch die Herstellung von Kraftstoffen in Raffinerien oder die Verteilung von Energie in Erdgas- und Fernwärmenetzen. In Zukunft werden Prozesse, wie die Elektrolyse von Wasserstoff oder die Herstellung anderer synthetischer CO?-freier Kraftstoffe, relevant werden. Die Transformation der Energiewirtschaft ist für die Energiewende höchst relevant, da sie etwa ein Drittel der deutschen THG-Emissionen ausmacht, wobei der größte Teil bei der Verstromung von Braun- und Steinkohle, Erdgas und Öl entsteht. Des Weiteren findet ein großer Teil der Dekarbonisierung der anderen Sektoren durch Elektrifizierung statt, was eine weitgehend erneuerbare Stromerzeugung voraussetzt. Wesentliche Strategie zur Emissionsminderung sind der Ausstieg aus der Kohleverstromung, der Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik und schließlich die Umstellung notwendiger verbleibender Gaskraftwerke auf die Verbrennung von grünem Wasserstoff. Parallel muss die Energieinfrastruktur den steigenden Bedarfen nach Dezentralität und der Speicherung von elektrischer Energie angepasst werden. - Verkehr
Zum Verkehrssektor gehören die Transportleistungen folgender Verkehrsmittel: Pkw, Lkw und Bus (Straßenverkehr), Lokomotive und Triebzug (Schienenverkehr), Flugzeug (Flugverkehr), Binnenschiff (Schiffsverkehr) sowie Fuß und Fahrrad (aktive Modi). Den größten Anteil (ca. 98%) an den im Rahmen des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) bilanzierten THG-Emissionen des Sektors machte im Jahr 2021 der Straßenverkehr aus (Umweltbundesamt, 2022). Um die Sektorziele aus dem KSG und Klimaneutralität 2045 zu erreichen, müssen drei Strategien zum Einsatz kommen: erstens die so genannte Antriebswende, d.h. die Direktelektrifizierung (Nutzung von Batterieelektrik) und die indirekte Elektrifizierung (Nutzung von Wasserstoff und/oder E-Fuels) der Antriebe; zweitens die so genannte Mobilitätswende, d.h. die Verlagerung von Transportleistung von der Straße auf die Schiene und auf aktive Modi; drittens die sinnvolle Vermeidung von Verkehr. - Gebäude
Der Energieverbrauch des Gebäudesektors entsteht vor allem bei der Beheizung und Warmwasserbereitung in privaten Haushalten und in Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (GHD). Dazu kommen Energieverbräuche für Beleuchtung, Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) und mechanische Energie, für die hauptsächlich Strom eingesetzt wird (BMWK, 2022). Um die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor zu senken, sind zwei Strategien zentral: Zum einen muss eine Reduktion der Energienachfrage stattfinden, indem Gebäude energetisch saniert werden und der Trend steigender Pro-Kopf-Wohnfläche umgekehrt wird. Zum anderen müssen erneuerbare Energieträger die fossilen ersetzen, um die verbleibenden Energienachfragen emissionsfrei zu decken. Dazu müssen insbesondere für die Beheizung Wärmepumpen und Fernwärme, statt Öl- und Gaskesseln, eingesetzt werden (Ariadne, 2021). - Industrie
Der Industriesektor umfasst die verarbeitende Industrie und den Bergbau – darin die besonders energieintensiven Subsektoren Metallerzeugung (Eisen und Stahl), Verarbeitung von Steinen und Erden (Zement, Kalk …) und Grundstoffchemie (AGEB, 2022). Energie hat in der Industrie drei große Anwendungsbereiche: Prozesswärme (Erzeugung von Dampf, Industrieöfen), mechanische Energie (Motoren, Beleuchtung) und Raumwärme. Hinzu kommt nicht-energetische Nutzung als Rohstoff der chemischen Industrie. Um die Treibhausgasemissionen im Industriesektor zu senken, sind subsektorspezifische Strategien notwendig, die sich in fünf Kategorien einteilen lassen: Brennstoffwechsel (z.B. Ersatz von Erdgas durch erneuerbaren Strom), Effizienz (ressourcenschonender Einsatz von Material und Energie), innovative Produktionsverfahren (z.B. wasserstoffbasierte Direktreduktion von Eisenerz), Kreislaufwirtschaft (z.B. stärkere Nutzung von Stahlschrott) und Suffizienz (Rückwirkung der verringerten Nachfrage nach energieintensiven Produkten auf die Industrie). Zwischen 1990 und 2020 wurden die Treibhausgasemissionen der Industrie um etwa 36% gesenkt (UBA, 2021) – der Großteil in den Jahren nach der Wiedervereinigung. Der Expertenrat für Klimafragen kommt daher in seinem Zweijahresgutachten (Expertenrat, 2022) zu dem Schluss, dass die Minderung im Vergleich zum Zeitraum 2011-2020 um den Faktor 10 erhöht werden muss, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen.
->Quellen: