EU-Naturschutzgesetz: Abgeordnete legen Standpunkt für Verhandlungen mit Rat fest

Schlüssel zur Bekämpfung von Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt

Nach einem heftigen politischen Schlagabtausch hat das EU-Parlament am 12.07.2023 seine Position zu dem weitreichenden Umweltgesetz zur Wiederherstellung der Natur beschlossen. Für das sogenannte Renaturierungsgesetz stimmten 336 EU-Abgeordnete, dagegen waren 300. Nach dem Ergebnis können die Verhandlungen mit den EU-Staaten über den finalen Gesetzestext beginnen.

Fließwiese Ruhleben, Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Im neuen Europäischen Gesetz zur Wiederherstellung der Natur geht es um die Rettung von Ökosystemen, die für die Bekämpfung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt von entscheidender Bedeutung sind; Risiken für die Ernährungssicherheit verringern helfen. Der Gesetzentwurf schreibt keine neuen Schutzgebiete in der EU vor. Bei außergewöhnlichen sozioökonomischen Folgen werden die Ziele verschoben.

Die EU muss bis 2030 Wiederherstellungsmaßnahmen ergreifen, die mindestens 20 % ihrer Land- und Meeresflächen abdecken, sagen die Abgeordneten. Nach einer Debatte am 11.07.2023 hat das Parlament heute mit 336 Ja-Stimmen, 300 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen den Standpunkt zum EU-Naturschutzgesetz angenommen.Ein Antrag zur Ablehnung des Kommissionsvorschlags scheiterte (312 Stimmen bei 324 Gegenstimmen und 12 Enthaltungen).

Die Abgeordneten betonen, dass die Wiederherstellung des Ökosystems der Schlüssel zur Bekämpfung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt ist und Risiken für die Ernährungssicherheit verringert. Sie betonen, dass der Gesetzentwurf weder die Schaffung neuer Schutzgebiete in der EU vorschreibt noch neue Infrastrukturen für erneuerbare Energien blockiert, da sie einen neuen Artikel hinzugefügt haben, in dem betont wird, dass solche Anlagen überwiegend im öffentlichen Interesse liegen.

Ziele für die Wiederherstellung der Natur bis 2030

Das Parlament betont, dass das neue Gesetz dazu beitragen muss, die internationalen Verpflichtungen der EU zu erfüllen, insbesondere den globalen Rahmen für die biologische Vielfalt der Vereinten Nationen von Kunming-Montreal. Die Abgeordneten unterstützen den Vorschlag der Kommission, bis 2030 Wiederherstellungsmaßnahmen zu ergreifen, die mindestens 20 % aller Land- und Meeresflächen in der EU abdecken. Dem Parlament zufolge soll das Gesetz nur dann gelten, wenn die Kommission Daten über die notwendigen Bedingungen vorgelegt hat, um eine langfristige Garantie zu gewährleisten.

Das Parlament erklärt, dass das Gesetz erst dann gelten soll, wenn die Kommission Daten über die notwendigen Bedingungen zur Gewährleistung der langfristigen Ernährungssicherheit vorgelegt hat und wenn die EU-Länder die Fläche quantifiziert haben, die wiederhergestellt werden muss, um die Wiederherstellungsziele für jeden Lebensraumtyp zu erreichen. Das Parlament sieht auch die Möglichkeit vor, die Zielvorgaben bei außergewöhnlichen sozioökonomischen Auswirkungen zu verschieben.

Innerhalb von 12 Monaten nach Inkrafttreten dieser Verordnung müsste die Kommission eine etwaige Lücke zwischen dem Finanzbedarf für die Wiederherstellung und den verfügbaren EU-Mitteln bewerten und Lösungen zur Überbrückung einer solchen Lücke prüfen, insbesondere durch ein spezielles EU-Instrument.

Zitat

Nach der Abstimmung sagte Berichterstatter César Luena (SD, ES): „Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ist ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Green Deals und folgt dem wissenschaftlichen Konsens und den Empfehlungen zur Wiederherstellung der europäischen Ökosysteme. Landwirte und Fischer werden davon profitieren und es sichert eine bewohnbare Erde für zukünftige Generationen. Unser heute angenommener Standpunkt sendet eine klare Botschaft. Jetzt müssen wir die gute Arbeit fortsetzen, unseren Standpunkt in den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten verteidigen und vor dem Ende der Legislaturperiode des Parlaments eine Einigung erzielen, um die erste Verordnung zur Wiederherstellung der Natur in der Geschichte der EU zu verabschieden.“

Nächste Schritte

Das Parlament ist nun bereit, die Verhandlungen mit dem Rat über die endgültige Form der Rechtsvorschriften aufzunehmen.

Hintergrund

Mehr als 80 % der europäischen Lebensräume sind in schlechtem Zustand. Die Kommission schlug am 22.06.2022 eine Verordnung über die Wiederherstellung der Natur vor, um zur langfristigen Wiederherstellung der geschädigten Natur in den Land- und Meeresgebieten der EU beizutragen und die Klima- und Biodiversitätsziele der EU zu erreichen. Der Kommission zufolge würde das neue Gesetz erhebliche wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen, da jeder investierte Euro zu einem Nutzen von mindestens 8 Euro führen würde.

Diese Rechtsvorschriften entsprechen den Erwartungen der Bürger in Bezug auf den Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt, der Landschaft und der Meere, wie sie in den Vorschlägen 2(1), 2(3), 2(4) und 2(5) der Schlussfolgerungen der Konferenz über die Zukunft Europas zum Ausdruck kommen.

BUND: Etappensieg für europäischen Naturschutz – EU Parlament ebnet Weg für EU-Renaturierungsgesetz – mit massiven Abstrichen

Anlässlich der Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments zum EU-Renaturierungsgesetz kommentiert Antje von Broock, Geschäftsführerin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Das Abstimmungsergebnis im EU-Parlament ist ein Schritt nach vorn für den Natur- und Klimaschutz in Europa. Zwar wurde der Gesetzesentwurf der EU-Kommission an entscheidender Stelle massiv abgeschwächt. Dennoch hat das Parlament ein Signal für den Schutz von Wäldern, Mooren, Meeren und viele weitere natürliche Lebensräume gesetzt. Angesichts der Desinformations- und Angstkampagne insbesondere von CDU und CSU im Vorfeld ist das durchaus ein Erfolg. Es ist gut, dass sich Fraktionschef Manfred Weber und seine EVP-Fraktionskolleg*innen nicht gegen die Daseinsvorsorge durchgesetzt haben.

Gesunde Ökosysteme sind unsere Lebensversicherung in Zeiten des Klimawandels. Sie helfen etwa die Nahrungsmittelversorgung langfristig zu sichern. Bestäuber wie Bienen und Hummeln erhöhen die Produktivität, Landschaftselemente helfen beim Schutz vor Erosion, natürliche Regulierungsmechanismen können vor Schädlingen schützen.

Der Erfolg ist dennoch getrübt, auch weil das Parlament für eine massive Verwässerung des Vorschlages der EU-Kommission gestimmt hat und etwa wichtige Ziele im Agrarbereich oder zur Wiedervernässung von Mooren abgelehnt hat. Der anstehende Trilog muss nun möglichst schnell über die Bühne gehen und gefährliche Lücken schließen. Wichtig wird auch die nationale Umsetzung sein. Hier sind die Bundesregierung und die Länder in der Pflicht. Es darf nicht wieder zu jahrelangen Verzögerungen kommen. Alle Ressorts sind nun aufgerufen, ihren Beitrag zur Wiederherstellung intakter Natur zu leisten. Dazu gehört etwa die Generationenaufgabe Moorrenaturierung energisch und großflächig anzuschieben, auch wenn das Parlament die entsprechenden Ziele heute abgelehnt hat.“

Hintergrund:

Das EU-Renaturierungsgesetz ist eine der großen Säulen des „European Green Deals“ von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Es stellt die größte Initiative im europäischen Naturschutz seit mehr als 30 Jahren dar. Der Abstimmung im EU-Parlament war eine beispiellose Desinformationskampagne der EVP-Fraktion vorausgegangen. Diese war gestützt auf höchst fragwürdigen oder falschen Behauptungen rund um den Gesetzesvorschlag, die wissenschaftlich nicht haltbar sind.

SPD: Mehr Tempo für europäischen Naturschutz – trotz Desinformationskampagne konservativer und rechter Kräfte

Lina Seitzl, zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion erklärt: „Die überfraktionelle Einigung in Brüssel ist ein wichtiger Schritt, um den Green Deal umzusetzen und ambitionierte Ziele in der europäischen Klima- und Umweltpolitik zu erreichen. Die EU-Mitgliedstaaten sollen nun 20 Prozent der zerstörten Ökosysteme bis 2030 in einen guten Zustand bringen.

Rund 80 Prozent der europäischen Ökosysteme stehen wegen intensiver Nutzung und voranschreitender Naturzerstörung unter Druck. Jetzt hat das Europäische Parlament den Weg für die Renaturierung zerstörter Naturräume frei gemacht.

Mit der Wiederherstellung der Natur wird auch die Erreichung der Klimaziele erleichtert, denn naturnahe Moore und gesunde Wälder speichern Kohlenstoff und tragen zum Schutz der Artenvielfalt bei. Dass wir den Europäischen Green Deal nun umsetzen, ist auch wichtig für unsere internationale Glaubwürdigkeit. Im Dezember 2022 hat die Weltgemeinschaft ein UN-Abkommen zum Schutz der weltweiten Biodiversität im kanadischen Montreal verabschiedet. In den Ländern des Globalen Südens wird unsere Klima- und Umweltpolitik sehr aufmerksam beobachtet. Es ist es wichtig, dass Europa mit gutem Beispiel vorangeht.

Die Blockadehaltung der Europäischen Volkspartei (EVP) und deren aktive Zusammenarbeit mit rechtskonservativen Kräften konnten den breiten europäischen Konsens für mehr Klima- und Naturschutz nicht brechen. Das ist eine gute Nachricht für unsere Demokratie und die Natur in Europa.“

->Quellen und mehr Informationen: