Transparenter Diskurs von Umweltfolgen des Lebensmittelsektors erhofft

Discounter lässt „wahre Kosten“ wissenschaftlich ermitteln

Die Lebensmittelkette PENNY/Rewe unterstützt WissenschaftlerInnen der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm (Ohm) bei ihren Untersuchungen zu den wahren Kosten für Lebensmittel. Anfang August werden 2.150 Märkte der Kette eine Woche lang zur Datenbasis. Für neun ausgewählte Produkte werden die berechneten „Wahren Kosten“ als Verkaufspreis von den Kunden verlangt. Die WissenschaftlerInnen erhoffen sich laut einer Medienmitteilung vom 31.07.2023 von der Aktion einen transparenten Diskurs von Umweltfolgen des Lebensmittelsektors sowie Informationen zum Einfluss auf das Konsumverhalten und die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft im Interesse der Umwelt.

Gemüse im Supermarkt – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

„Wahre Kosten“ im Discounter: wenn das Würstchen plötzlich 88 Prozent teurer ist – „Der Discounter Penny verlangt eine Woche lang für neun Produkte Preise, die die Umweltkosten einbeziehen. Mit der Aktion sollen die Kunden zum Nachdenken bewogen werden. Ob das zu einem nachhaltigeren Einkaufsverhalten führt, ist ungewiss.“ (Neue Zürcher Zeitung)

Jede Form von Produktion und Konsum hat Auswirkungen auf die Umwelt. Diese derzeit unsichtbaren Umweltfolgekosten – sogenannte wahre Kosten – fallen entlang der Lieferketten zwangsläufig an, spiegeln sich aber nicht oder nur teilweise in den Verkaufspreisen der Produkte, Dienstleistungen und Lebensmittel wider. Ob und wie sie ausgeglichen werden, ist bislang intransparent.

Die „Wahre Kosten“-Kampagnenwoche vom 31.07-05.08.2023 ist eine gemeinsame Initiative vom Lebensmittelhändler PENNY/Rewe und zwei Forschungsprojekten der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald. Sie konzentriert sich auf die Umweltkosten, die bei der Herstellung von Produkten anfallen. Im Kampagnenzeitraum werden die „Wahren Kosten“, für neun ausgewählte Produkte in allen PENNY-Märkten Deutschlands abgerufen.

Für ausgewählte konventionell und ökologisch erzeugte Produkte der Lebensmittelkette PENNY sowie ein veganes Lebensmittel haben die Wissenschaftler*innen die über die Lieferketten anfallenden ökonomischen Auswirkungen der Faktoren Boden, Klima, Wasser und Gesundheit in den Verkaufspreis mit eingerechnet. Die Berechnungen des Teams um Prof. Dr. Tobias Gaugler von der Fakultät Betriebswirtschaft der Ohm und Dr. Amelie Michalke vom Institut für Geographie und Geologie der Universität Greifswald ergaben, dass die Aufpreise in den Produktgruppen unterschiedlich hoch ausfallen. So haben die erhobenen Bio-Lebensmittel grundsätzlich geringere Folgekosten als ihre konventionellen Gegenstücke, das pflanzliche Ersatzprodukt hat im Vergleich den mit Abstand geringsten Aufpreis.

Seit 01.07.2023 verteilt Rewe, zweitgrößter Lebensmitteleinzelhändler Deutschlands, keine printbasierte Werbepost mehr. Der Konzern entspricht damit Forderungen der DUH und spart über 73.000 Tonnen Papier pro Jahr ein. Entsprechend fordert die DUH Händler wie Aldi, Lidl oder Edeka auf, sie sollten dem Beispiel folgen und die ressourcenvergeudende Werbeflut endlich beenden. Solange Prospektwerbung weiterhin massenhaft verteilt wird, muss dem Bundesumweltministerin Steffi Lemke entgegenwirken: Die DUH fordert die Einführung eines Opt-in-Verfahrens, damit nur noch diejenigen unadressierte Werbepost erhalten, die das auch ausdrücklich wollen. (https://www.solarify.eu/2023/07/02/804-rewe-stoppt-umweltschaedliche-papierene-werbepost/)

Im Unterschied zu den gegenwärtigen Lebensmittelpreisen zeichnen sich die wahren Kosten (auch „True Costs“) von Lebensmitteln dadurch aus, dass in diese Umwelt- und soziale Folgekosten eingehen, die bei der Herstellung der Lebensmittel entlang der Lieferketten entstehen. Diese Folgekosten werden auch als „negative externe Effekte“ bezeichnet. Sie werden von allen Lebensmittelproduzenten verursacht, aber aktuell von der Gesamtgesellschaft getragen. Das heißt, die Verbraucher tragen diese Kosten indirekt, beispielsweise für die Auswirkungen des Klimawandels aufgrund von Treibhausgasemissionen, oder sie bezahlen mit der Wasserrechnung für die Aufbereitung von Trinkwasser, das aufgrund von Düngemitteln belastet ist.

Mittels „True Cost Accounting“ werden nicht nur die direkten Produktionskosten in den Preis eines Lebensmittels eingerechnet, sondern auch dessen Auswirkungen auf ökologische oder soziale Systeme in Geldeinheiten umgerechnet. Eine Bilanzierung von Lebensmittelpreisen anhand dieser wissenschaftlichen Methodik – dem True Cost Accounting – zeigt dem Konsumenten, welcher Preis tatsächlich für seine Lebensmittel derzeit schon anfällt und hilft zu verstehen, welche Produkte sich langfristig auf die Gesundheit des Planeten auswirken.

Die wahren Preise für die Aktionsprodukte wurden mittels Lebenszyklusanalysen (auch Ökobilanzen genannt) ermittelt. Diese Methodik gibt zunächst Aufschluss über die Menge an Schadstoffen, Emissionen und Ressourcen, die während des Produktionszyklus der Produkte anfallen. Nachdem die Menge klar ist, wird sie mit den entsprechenden Schadenskostenfaktoren verrechnet. Diese Schadenskostenfaktoren beschreiben den finanziellen Schaden an der Gesellschaft, der aufgrund der jeweiligen Emission oder des Verbrauchs bestimmter Ressourcen entsteht.

Prof. Dr. Tobias Gaugler: „Wir bekommen über die Kampagnenwoche umfassende Daten und sozio-demographische Informationen. Wir können damit wertvolle Erkenntnisse über Kaufverhalten und Akzeptanz für das Thema gewinnen. Daraus lassen sich dann Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Akteure ableiten, um vor allem sinnvolle politische Maßnahmen zu gestalten, die zu einer nachhaltigen Transformation des Lebensmittelsektors beitragen.“

Dr. Amelie Michalke ergänzt: „Es geht nicht darum, die wahren Kosten unmittelbar für alle Lebensmittel einzuführen. Dazu fehlen die umfassenden wissenschaftlichen Grundlagen ebenso wie Antworten auf zentrale Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Wir erhoffen uns jedoch einen starken Impuls, damit wir als gesamte Gesellschaft Preise für Lebensmittel in einer anderen und verursachergerechteren Form diskutieren und betrachten.“

Die Mehreinnahmen der einwöchigen Kampagne – also die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Wahre-Kosten-Preis – spendet PENNY dem „Zukunftsbauer“, einem Gemeinschaftsprojekt mit einer Molkerei, LandwirtInnen und KundInnen mit dem Ziel, zum Klimaschutz beizutragen und zum Erhalt der familiengeführten Bauernhöfe im Alpenraum beizutragen.

Sollte die nun exemplarisch stattfindende Kampagne erweitert werden, wäre es den WissenschaftlerInnen zufolge denkbar, die Mehreinnahmen in Projekte zur Nachhaltigkeitstransformation landwirtschaftlicher Systeme zu investieren. Auch wäre es möglich, sie einzusetzen, um die Konsumentinnen und Konsumenten zu nachhaltigem Konsum zu motivieren. Auf Grundlage weiterer Erkenntnisse könnte auch untersucht werden, inwiefern eine Anpassung der Mehrwertsteuersätze sinnvoll wäre, um Nachhaltigkeit beim Einkauf zu fördern.

Die Wahre-Kosten-Kampagne wurde von wissenschaftlicher Seite innerhalb der beiden Forschungsprojekte HoMaBiLe (mit dem Praxispartner Tollwood, gefördert vom BMBF) und FOODCoST (gefördert innerhalb Horizon Europe der EU) entwickelt.

->Quellen: