Leopoldina Policy Brief zu Kernfusion als Teil künftiger Energieversorgung
In einem am 06.10.2023 erschienenen Policy Brief in der Reihe „Leopoldina Fokus“ erläutern drei WissenschaftlerInnen, inwieweit Kernfusionstechnologie in Zukunft zur Energieversorgung beitragen könnte, an welchen Technologien in Deutschland geforscht wird und welche wissenschaftlichen und regulatorischen Voraussetzungen bereits heute geschaffen werden müssten. Ihr Fazit: Voraussichtlich in der zweiten Jahrhunderthälfte könnte die Kernfusion eine wesentliche Rolle für die Energieerzeugung spielen. Wenn dies eine realistische Option sein soll, müssten bereits jetzt wichtige wissenschaftliche, regulatorische und technologische Voraussetzungen geschaffen werden.
Nach Einschätzung von Sibylle Günter (Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching), Thomas Klinger (Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Greifswald) und Wim Leemans (Deutsches Elektronen-Synchrotron, DESY, Hamburg) kann mit Kernfusionstechnologien ab 2050 ein Beitrag zur Energiesicherheit und für besseren Klimaschutz geleistet werden. Für die Kernfusion spricht unter anderem, dass sie CO2-neutral und vor allem grundlastfähig ist. Um in Deutschland einen leistungsfähigen Prototypen für ein Fusionskraftwerk zu entwickeln, sollte zeitnah ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden. Es brauche mehr Grundlagenforschung und stärkere Nachwuchsförderung. Außerdem wäre es notwendig, dass Partner aus Wissenschaft, Anlagenbau und Industrie in einem Innovationssystem zusammenwirken.
Kann Fusionstechnologie zu Energiesicherheit und Klimaneutralität beitragen?
Ja, aber es wird noch mindestens zwei bis drei Jahrzehnte dauern, bis Kernfusionskraftwerke Wirklichkeit werden könnten. Da Forschung und Entwicklung sowie der Bau künftiger Kernfusionskraftwerke einen sehr langen zeitlichen Vorlauf benötigen, wäre es bereits jetzt erforderlich, die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen sowie die Fusionsforschung mit langfristiger Perspektive voranzutreiben.
Allein durch den Ausbau und die Weiterentwicklung erneuerbarer Energien wird der zunehmende weltweite Energiebedarf wahrscheinlich nicht zu decken sein. Eine Entscheidung für die Fusionsenergie wäre keine Entscheidung gegen die Erneuerbaren Energien. Das Potenzial aller klimaneutralen Technologien sollte ausgelotet und ggf. genutzt werden. Für die Kernfusion spricht unter anderem, dass sie CO2-neutral und vor allem grundlastfähig ist. Hinzu kommt, dass der Bau eines Fusionskraftwerks – anders als Photovoltaik und Windräder – nur ein sehr begrenzter Eingriff in die Landschaft wäre. Bei der Kernfusion sind Havarie-Risiken durch radioaktive Kettenreaktionen ausgeschlossen. Das unterscheidet diese Technologie grundlegend von der Kernspaltung. Außerdem werden durch die Kernfusion keine langlebigen hochradioaktiven Abfälle produziert. Fragen der sicheren Endlagerung stellen sich daher nicht.
An welchen Fusionstechnologien wird in Deutschland geforscht?
Deutschland gehört neben den USA, Japan, Frankreich und Großbritannien zu den weltweit führenden Nationen in der Fusionsforschung. Grundsätzlich wird zwischen zwei technologischen Grundansätzen der Kernfusion unterschieden: der Fusion mittels magnetischen Einschlusses (Magnetfusion) und der Trägheitsfusion (Laserfusion). Deutschland gehört bei den beiden Konzepten der Magnetfusion, Tokamak und Stellarator, zur Weltspitze. Mit dem Stellarator „Wendelstein 7-X“ verfügt Deutschland über einen Forschungsreaktor, der weltweit als der modernste und meistversprechende angesehen wird. Es besteht darüber Einigkeit, dass der „Wendelstein 7-X“ großes Potenzial hat, um darauf aufbauend einen leistungsfähigen Prototypen für ein Fusionskraftwerk zu entwickeln.
Auch im Bereich der Laserfusion findet seit vielen Jahrzehnten Grundlagenforschung, überwiegend für militärische Zwecke, statt. Dafür wurden insbesondere in den USA erhebliche Mittel eingesetzt. In Deutschland dagegen wurde wegen der Dual-Use-Problematik entsprechende Forschung nicht gefördert. Die jüngsten internationalen Durchbrüche in der Laserfusion wurden dennoch auch durch Komponenten ermöglicht, die in Deutschland entwickelt wurden, z. B. im Bereich der Brennstoffträger (Targets) sowie der Hochleistungslaser.
Die europäische Fusionsforschung hat unlängst eine vorkonzeptionelle Designstudie (Preconceptual Design Study) für den Prototypen eines Fusionskraftwerkes basierend auf dem Tokamak-Konzept erfolgreich international begutachten lassen und veröffentlicht. Insbesondere Deutschland arbeitet parallel an einer Preconceptual Design Study für das Stellarator-Konzept. Wenn auf der Grundlage dieser wissenschaftlichen Vorarbeit ein Kraftwerk in den nächsten 20 bis 30 Jahren gebaut werden soll, müssten jetzt die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden.
Was ist jetzt zu tun, damit in Deutschland ein Fusionskraftwerk ans Netz geht?
Wenn Kernfusion langfristig zur Energieerzeugung in Deutschland beitragen soll, müsste jetzt damit begonnen werden, die regulatorischen, forschungsinfrastrukturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu setzen.
Rechtsrahmen schaffen
Essenziell für die erfolgreiche Realisierung eines Fusionskraftwerks sind Rechtssicherheit und zügige behördliche Genehmigungsverfahren, deren rechtlicher Rahmen noch geschaffen werden müsste. Aufgrund der prinzipiell anderen Wirkmechanismen der Kernfusion im Vergleich zur Kernspaltung braucht es einen eigenen regulatorischen Rahmen. Mit dessen Entwicklung müsste zeitnah begonnen werden.
Personal ausbilden
Wenn Fusionskraftwerke in der künftigen Energieversorgung etabliert werden sollen, braucht es hierfür gut ausgebildetes und hochspezialisiertes Personal. In einem ersten Schritt wäre es somit notwendig, die entsprechende Grundlagenforschung auszubauen. Konkret bedeutet das die Etablierung und den Ausbau von Lehrstühlen, Studiengängen, Nachwuchsgruppen und Forschungsanlagen.
Innovationssystem entwickeln
Notwendig wäre darüber hinaus, Kompetenzen in der ingenieurtechnischen Umsetzung und im Großanlagenbau aufzubauen. Es bräuchte insgesamt die orchestrierte Entwicklung eines Innovationssystems, in welchem Forschung und Lehre eng mit Industrie- und Finanzierungspartnern kooperieren und gemeinsam mit staatlichen Akteuren die nötigen Voraussetzungen für den Bau eines Fusionskraftwerkes schaffen.
Industriepartner finden
Die technische Realisierung eines Fusionskraftwerks wäre nur in Kooperation mit industriellen Partnern aus den Bereichen Kraftwerks- und Anlagenbau sowie der Energiewirtschaft möglich. Hierfür könnte ein tragfähiges Konsortium von deutschen und internationalen Industriepartnern gebildet werden, welches den Bau eines Fusionskraftwerks als zeitlich befristete Aufgabe realisiert.
Förderung langfristig sicherstellen
Die mittel- und langfristige Finanzierung eines solchen Vorhabens würde die Vereinbarung und Umsetzung eines Finanzierungsplans für ein Magnetfusions-Kraftwerk in Höhe von mindestens 20 Mrd. € über 20 Jahre voraussetzen. Der Einstieg läge bei deutlich weniger als 1 Mrd. € pro Jahr. Das Gesamtvolumen würde dem Aufwuchs für Investitionen in den eigentlichen Kraftwerksbau dienen.
Die hier kurz benannten technologieübergreifenden und idealerweise parallel ablaufenden Prozesse in Forschung und Entwicklung, technologischer Umsetzung, Finanzierung und staatlicher Regulatorik müssten bis 2030 weit vorangetrieben werden, wenn der Bau eines ersten Fusionskraftwerks in Deutschland bis 2050 realisierbar sein soll.
Hintergrund: Wie funktioniert Kernfusion?
Die Kernfusion ist eine thermonukleare Reaktion, bei der ähnlich wie in der Sonne aus dem Verschmelzen leichter Atomkerne der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu schwereren Helium-Atomkernen Energie gewonnen wird.
Bei der Kernfusion mittels magnetischen Einschlusses halten supraleitende Magneten das Plasma in der Reaktionskammer, damit die Verschmelzung der Wasserstoff-Atomkerne (Kernfusion) stattfinden kann. Um das zu erreichen, wird bei Temperaturen von 100–150 Mio. °C aus einem Wasserstoffisotopen-Gasgemisch ein Plasma erzeugt, in dem Atomkerne und Elektronen getrennt sind. Die dabei freiwerdenden Neutronen bremsen in der Wand ab, und die freiwerdende thermische Energie würde in einem Fusionskraftwerk über Wärmetauscher Wasserdampf erzeugen, der wiederum Dampfturbinen mit angekoppelten Stromgeneratoren antreibt. Die beiden gängigsten technischen Konzepte für Magnetfusionsreaktoren sind der „Tokamak“ und der „Stellarator“, die sich in der Konfiguration des Magnetfeldes unterscheiden, das zum Einschluss des Plasmas nötig ist.
Das Prinzip der Trägheitsfusion beruht auf der Nutzung intensiver Strahlung aus einem hochenergetischen Lasersystem, um ein Deuterium-Tritium-Gemisch in einer millimetergroßen runden Kapsel (auch Target genannt) in Bruchteilen von Sekunden zu komprimieren. Die beiden wichtigsten Ansätze bei der Trägheitsfusion werden als „indirect drive“ und „direct drive“ bezeichnet. Beim „indirekten Antrieb“ befindet sich das Target in einem Hohlraum, der die Laserstrahlung in Röntgenstrahlung umwandelt. Die absorbierte Strahlung erwärmt das Target und erzeugt ein Plasma, das sich nach außen ausdehnt, während der innere Plasmabestandteil komprimiert wird. Beim direkten Antrieb wird das gefrorene Brennstofftarget direkt der Laserstrahlung ausgesetzt.
->Quellen:
- leopoldina.org/kernfusion-eine-option-fuer-energiesicherheit-und-klimaschutz-in-deutschland-2023
- „Leopoldina-Fokus“ zu Kernfusionstechnologien: www.leopoldina.org/kernfusion