IfW-Klimaforscher gefeuert, weil er nicht fliegen will

„Ein Preis, der sich lohnt“

„Meine Firma in Deutschland hat von mir verlangt, dass ich so schnell wie möglich von einem Feldversuch zum Klimawandel in der Nähe von Papua-Neuguinea zurückkehre. Das kann ich nicht tun“ so Gianluca Grimalda, Sozialwissenschaftler und Klimaforscher am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Anfang Oktober habe ihm sein Arbeitgeber ein klares Ultimatum gestellt, so Grimalda gegenüber dem Londoner Guardian: Entweder er kehre innerhalb von fünf Tagen in sein Büro in Kiel zurück oder er verliere seinen Job.

Klimawandel wartet nicht (erdgas-Reklame) – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Aus Z“ vom 12.10.2023: „GesKlimawandel wartet nicht (Erdgas-Reklame) – Foto © Gerhard Hofmann für Solarifyern wurde mir mitgeteilt, dass @kielinstitute den Vertrag mit mir gekündigt hat. Ich dachte, die große Unterstützung, die meine Geschichte erhielt, hätte sie dazu gebracht, ihre Meinung zu ändern, aber nein, ich bereue es nicht, zu meinen Prinzipien von #RefuseToFly zu stehen. Ich danke allen Menschen, die @kielinstitute kontaktiert und meinen Fall unterstützt haben. Ihre Entscheidung ignoriert, dass man im digitalen Zeitalter von überall auf der Welt arbeiten kann und im Anthropozän jede Verschwendung von CO2 moralisch nicht zu rechtfertigen ist.“

Grimalda führt seit März 2023 auf der fast 22.000 Kilometer entfernten Insel Bougainville vor der Küste Papua-Neuguineas, , eine wichtige Feldforschung über die sozialen Auswirkungen des Klimawandels durch. Diese sei von unvorhersehbaren Problemen überschattet gewesen, die von Naturkatastrophen bis hin zu Sicherheitsbedrohungen gereicht hätten, und Grimaldas Arbeitgeber sei „wenig überraschend unglücklich darüber, dass sich meine Rückkehr um viele Wochen verzögerte“.

Die Dringlichkeit der IdW-Aufforderung zur Rückkehr bedeutete, dass er hätte fliegen müssen, wenn er die Frist einhalten wollte; für ihn sei das jedoch keine Option: „Ich praktiziere Flugverweigerung aus Gewissensgründen seit mehr als 10 Jahren. Mein Arbeitgeber hat mich in der Vergangenheit bei ‚langsamen Reisen‘ unterstützt. Ich boykottiere das Fliegen nicht gänzlich, aber ich steige nur dann in ein Flugzeug, wenn es keine andere Alternative gibt.“

An diesem Wochenende werde er mit einem Frachtschiff zurückkehren und die restliche Strecke nach Europa per Fähre, Zug und Bus zurücklegen. Denn: „Flugreisen sind der schnellste Weg, um fossile Brennstoffe zu verbrennen, also der schnellste Weg, uns in die Katastrophe zu begeben“, zitierte der Guardian Grimalda. Außerdem habe er den Einwohnern Papua-Neuguineas versprochen, seinen CO2-Ausstoß bei der Rückreise zu minimieren. Weiße Männer würden in der lokalen Sprache oft als Lügner bezeichnet, aber er wolle keiner sein, sagt er. „Angesichts der aktuellen Klimakrise ist es für mich moralisch nicht vertretbar, 4,9 Tonnen CO2 – etwa so viel, wie ein durchschnittlicher Mensch auf der Welt in einem Jahr ausstößt – zu verschwenden, um meine Rückkehr nach Europa zu beschleunigen.“

Das Magazin Focus rechnete am 14.10 vor: „Tatsächlich würde die Reise des Forschers mit Frachter, Fähre, Bus und Zug sogar über 39.000 Kilometer gehen. Statt 3,6 Tonnen würde die langsame Rückreise nur 400 Kilogramm CO2 ausstoßen, dafür aber rund 50 Tage dauern.“
Grimalda: „Viele Menschen haben mich gefragt, warum es für mich so wichtig ist, so kohlenstoffarm wie möglich zu reisen. Dafür habe ich drei Gründe. Erstens möchte ich meiner moralischen Verpflichtung nachkommen, nicht zu fliegen. Der Luftverkehr trägt von allen Verkehrsträgern am stärksten zum Klimawandel bei und ist ein wichtiger Faktor für den Anstieg der Temperaturen und die extremen Wetterereignisse, die wir immer häufiger auf der ganzen Welt erleben.
Zweitens habe ich allen 1.800 Teilnehmern meiner Forschungsarbeit in Bougainville versprochen, dass ich kohlenstoffarm zurückkehren werde. Ich möchte mein Versprechen einhalten. Weiße Männer (zu denen auch ich gehöre, wie mir hier immer wieder vor Augen geführt wird) werden in der Tok Pisin-Sprache oft als giaman – Lügner, Betrüger – bezeichnet, wahrscheinlich zu Recht, wenn man an die turbulente koloniale Vergangenheit des Landes denkt. Ich möchte nicht als giaman angesehen werden.
Schließlich, und das ist das Wichtigste, hoffe ich, dass mein Fall einen kleinen Riss in die Mauer aus ‚Egoismus, Gier und Apathie‘ reißt, die nach den Worten des Klimaanwalts Gus Speth das Haupthindernis für das Aufhalten des unkontrollierten Klimawandels ist. Viele Menschen werden es für Wahnsinn halten, ihren Traumjob aufzugeben, um einen Flug zu vermeiden. Aber in der gegenwärtigen Ära des Klimazusammenbruchs ist es meiner Meinung nach Wahnsinn, mit ‚business as usual‘ weiterzumachen, wenn die Wissenschaft uns sagt, dass wir entweder gefährlich nahe am Zusammenbruch wichtiger Ökosysteme stehen oder diesen bereits hinter uns haben.“
Er gehöre nicht zu der Sorte Mensch, die anderen gerne sagt, was sie tun sollen. Aber ich möchte die Menschen dazu auffordern, die Grenzen dessen, was in ihrem eigenen Wirkungskreis als normal gilt, zu verschieben. Wenn man die Verantwortung auf den Durchschnittsbürger abwälzt, kann man diejenigen, die wirklich verantwortlich sind, vom Haken lassen. Nach Angaben von Oxfam verursachen die reichsten 10 % der Welt mehr als die Hälfte der Emissionen. Neunzig Unternehmen sind für 63 % der historischen CO2-Emissionen der Welt verantwortlich. Weltweit bleibt das Fliegen das Vorrecht der Elite – einschließlich der Forscher aus den westlichen Ländern, die wahrscheinlich zu den 10 % gehören, die den Großteil der Emissionen verursachen.Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass es wichtig ist, den Weg zu gehen. Wissenschaftler, die ihren CO2-Fußabdruck reduziert haben, wirken einer Studie zufolge in der Öffentlichkeit eher überzeugend als Wissenschaftler, die dies nicht getan haben. Es hat sich gezeigt, dass individuelle Maßnahmen, selbst wenn sie offensichtlich nicht zu einer drastischen Verringerung der Kohlenstoffemissionen führen, erhebliche Verstärkungseffekte haben, da das „gute Beispiel“ des Einzelnen von den Menschen in seinen sozialen Netzwerken nachgeahmt und weiterverbreitet wird.

Grimalda: „Während ich diese Zeilen schreibe, warte ich darauf, das Frachtschiff für die erste Etappe meiner kohlenstoffarmen Reise nach Europa zu besteigen. Wenn ich in etwa 45 Tagen in Europa ankomme, werde ich arbeitslos sein. Wenn es mir auf meiner Reise gelingt, die Menschen davon zu überzeugen, dass unser Planet ernsthaft gefährdet ist und dass radikale, außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich sind, wird es sich gelohnt haben, meinen Job zu verlieren.“

Gianluca Grimalda, bis vor kurzem Senior Researcher am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, ist Sozialwissenschaftler und beschäftigt sich mit sozialem Zusammenhalt und der Anpassung an den Klimawandel.

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