Winzige Speicherzelle hält extremen Temperaturen stand

Neuartiges ferroelektrisches Material ermöglicht kleinere und bessere Halbleiterbauteile für Mikroelektronik

In der Entwicklung und Strukturierung von neuen Materialien für Halbleiter-Bauteile der nächsten Generation, wie neuartige Speicherzellen, haben Materialforschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Fraunhofer-Instituts für Siliziumtechnologie in Itzehoe (ISIT) eine weitere Hürde genommen. Sie konnten zeigen, dass sich ferroelektrisches Aluminium-Scandium-Nitrid auf wenige Nanometer herunterskalieren lässt und verschiedene Zustände speichern kann, sich also als Nanoschalter eignet. Außerdem erwies es sich als besonders stabiles und leistungsfähiges Halbleitermaterial für aktuelle Technologien, die auf Silizium, Siliziumcarbid und Galliumnitrid basieren.

Im Mikroskop wird sichtbar, was passiert, wenn Aluminium-Scandium-Nitrid geschaltet wird und sich die polare Ausrichtung im Material verändert. Zunächst befindet sich das Stickstoff-Atom über dem Aluminiumatom (N-polar, links). Durch das Anlegen einer Spannung dreht sich die Struktur um 180 Grad und das Stickstoff-Atom befindet sich jetzt unter dem Aluminiumatom (M-polar, rechts). Diese Änderung findet nicht überall im Material gleichzeitig statt, sondern endet an der gestrichelten Linie. [Adv. Sci. 2023, Volume 10, Issue 25, 302296, September 5, 2023, DOI: 10.1002/advs.202302296] – Abbildung © Niklas Wolff

Im Gegensatz zur heutigen Mikroelektronik halten das Material und der gespeicherte Zustand Temperaturen von bis zu 1.000 Grad Celsius stand. Das ermöglicht ihren Einsatz unter extremen Bedingungen wie sie in vielen Produktionsprozessen der Industrie vorkommen. Die Ergebnisse wurden in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Advanced Science veröffentlicht. Sie entstanden im Rahmen eines Forschungsprojekts, das Grundlagenforschung in der Materialentwicklung und Anwendungen in der Mikroelektronik zusammenbringt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert es mit 2,15 Millionen Euro.

Erstmals für Anwendungen nutzbar

Leistungsfähige Chips und mikroelektronische Bauteile stecken heute in allen Computern, Autos oder Industrieanlagen. Stabile und energieeffiziente Mikroelektronik ist die technische Basis für die Digitalisierung von Industrie und Gesellschaft, eine nachhaltige Energieversorgung oder moderne Medizintechnik. Dabei arbeiten die heutigen Computerchips mit sehr niedrigen Spannungen von nur 1 bis 2 Volt, bei höheren Spannungen würden sie kaputtgehen.

Fichtner und seinen Kollegen ist es jetzt gelungen, Aluminium-Scandium-Nitrid als nur vier bis fünf Nanometer dünne Schicht herzustellen und so seinen Spannungsbedarf von ursprünglich über 100 Volt auf 1 Volt zu senken. „Wir konnten erstmals zeigen, dass Aluminium-Scandium-Nitrid auch in diesen kleinen Dimensionen funktioniert ohne seine Eigenschaften als Schalter zu verändern“, sagt Dr. Simon Fichtner, Materialwissenschaftler an der CAU und am ISIT. „Es funktioniert sogar auf Standard-Siliziumchips und ist damit als Halbleitermaterial sehr gut geeignet.“

Mit dem Material können nun wenige Nanometer kleine Bauelemente hergestellt werden, die sich in bestehende Halbleitertechnologien integrieren lassen. „Damit verlassen wir die Grundlagenforschung und können zum ersten Mal wirklich über Anwendungen nachdenken“, sagt Dr. Niklas Wolff vom Sonderforschungsbereich 1261 „Biomagnetic Sensing“ an der CAU. In dem interdisziplinären Forschungsverbund wird das Material bereits in Sensor-Prototypen für die medizinische Diagnostik verwendet.

Deutlich stabiler als bisherige Siliziumspeicher

Im Rahmen des BMBF-Projektes „SALSA“ konnten die Materialforschenden außerdem zeigen, dass Speicherzellen aus Aluminium-Scandium-Nitrid deutlich stabiler sind als bisher genutzte Siliziumspeicher. „Unsere Speicherzellen haben in Tests bei 1.000 Grad Celsius ihre Informationen behalten. Heute verfügbare Siliziumspeicher funktionieren nur bis maximal 150 Grad“, sagt Fichtner. Damit werden Anwendungen als Informationsspeicher oder in Sensoren bei Verbrennungsprozessen in Motoren oder Turbinen, in der chemischen Industrie oder in der Stahlindustrie möglich.

In seiner Doktorarbeit an der CAU konnte Fichtner vor vier Jahren erstmals zeigen, dass Aluminium-Scandium-Nitrid zu den ferroelektrischen Materialien gehört und sorgte damit für großes Interesse in der internationalen Forschung. Ferroelektrika sind permanent elektrisch ausgerichtet, auch wenn kein äußeres elektrisches Feld angelegt wird – ähnlich wie bei einem Kühlschrankmagneten. Wird nun eine elektrische Spannung angelegt, kehrt sich die Kristallstruktur des Materials auf atomarer Ebene und damit seine elektrische Ausrichtung um. Die elektrischen Eigenschaften dieser Materialien lassen sich also von außen kontrolliert verändern, sie können zwischen zwei Zuständen „geschaltet“ werden. Das macht ferroelektrische Materialien für industrielle Anwendungen sehr interessant, doch bislang waren sie nicht zuverlässig oder leistungsfähig genug. Dass Aluminium-Scandium-Nitrid auch bei hohen Temperaturen und bei einer Spannung von nur einem Volt funktioniert, sind also eindeutige Vorteile gegenüber herkömmlichen ferroelektrischen Materialien.

Anordnung der Atome ändert sich

Das Forschungsteam zeigte in seiner Studie außerdem zum ersten Mal, was bei dem Schaltvorgang im Aluminium-Scandium-Nitrid genau passiert. Mit einem Rastertransmissionselektronenmikroskop analysierten sie die atomare Struktur des Materials im Nanometerbereich. Sie konnten nachweisen, dass sich nach Anlegen der Spannung die Anordnung der Stickstoff-und Aluminiumatome ändert. „Erstaunlicherweise passiert das nicht überall im Material gleichzeitig wie bei einigen anderen ferroelektrischen Materialien, sondern fließend, in einzelnen Bereichen nacheinander“, sagt Wolff. Das Material schaltet sich also nicht komplett auf einmal. „Wenn man daran denkt, dass unsere aktuellen Speichertechnologien mit den beiden Zuständen 0 und 1 arbeitet, wären hiermit also noch weitere Zwischenzustände und ganz andere Anwendungen denkbar“, ergänzt Doktorand Georg Schönweger.

„Durch die Anschlussfähigkeit des Materials an bestehende Technologien ergeben sich sehr viele Anwendungsmöglichkeiten – auch für die Leistungselektronik, die komplett auf Galliumnitrid-Halbleitern basiert, die Hochfrequenztechnik oder energieeffizientere Computerarchitekturen“, sagt Professor Hermann Kohlstedt. Er ist Sprecher des Sonderforschungsbereichs 1461 „Neuroelektronik“, in dem der Einsatz von Aluminium-Scandium-Nitrid für innovative neuromorphe Computer nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns erforscht wird. Das Fraunhofer ISIT untersucht im SALSA-Projekt auch den Einsatz für Aktuatoren zum Beispiel in Lautsprechern und hat dazu bereits Prototypen entwickelt. Das Fraunhofer-Institut für angewandte Festkörperphysik in Freiburg (IAF) arbeitet an der Integration ferroelektrischer Dünnschichten aus Aluminium-Scandium-Nitrid für verbesserte Transistoren.

->Quelle:  uni-kiel.de/251-halbleiter