Umweltrat aktualisiert Berechnungen des CO2-Budgets
Wo steht Deutschland beim Klimaschutz? In einem am 25.03.2024 veröffentlichten Kurzpapier aktualisiert der SRU seine Berechnungen zum verbleibenden deutschen CO2-Budget. Es umfasst die Menge an CO2-Emissionen, die Deutschland bei einer international gerechten Verteilung des globalen Budgets maximal noch ausstoßen dürfte. Für eine Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 °C ist dieses deutsche CO2-Budget fast oder sogar vollständig aufgebraucht – je nachdem, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Klimagrenze eingehalten werden soll. Der SRU wörtlich. „Es stellt sich die Frage nach dem Umgang damit.“
„Das noch verbleibende CO2-Budget schmilzt rapide“, sagt Prof. Wolfgang Lucht. „Die Klimawissenschaft hat stets gewarnt, dass sich das Fenster schließt, in dem Deutschland einen ausreichenden und fairen Beitrag zur Einhaltung der 1,5 °C-Grenze leisten kann, ohne auf spekulative Maßnahmen wie eine künftige Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre oder Budgetzukäufe im Ausland zurückzugreifen. Inzwischen ist unausweichlich, dass wir mehr CO2 ausstoßen als uns zusteht, wenn wir unseren Anteil an der Weltbevölkerung zugrunde legen. Die Überschreitung dieses fairen deutschen Budgets für 1,5 °C muss daher umso mehr Ansporn sein, mit neuer Entschlossenheit an einer schnelleren Reduzierung der Emissionen zu arbeiten. Es wirft aber auch die Frage nach der Verantwortung für Schäden und Verluste aufgrund der Überschreitung auf.“
Die Zwei-Grad-Grenze, irrtümlicher- (oder schlampiger-)weise oft als Zwei-Grad-„Ziel“*) bezeichnet, ist eine Linie für den (inzwischen unumstritten) menschengemachten Klimawandel, welche die Erderwärmung bei Androhung existenzieller Folgen keineswegs nur für die Südseeinsulaner nicht überschreiten darf. Seit mehr als 40 Jahren ist sie schon bekannt: 1977 veröffentlichte der US-Wirtschaftsprofessor und spätere Nobelpreisträger William Nordhaus eine Grafik mit einer als Zwei-Grad-Grenze bezeichneten Linie – er fügte dieser Grenze eine Zeitachse, die natürlichen Schwankungsbreiten samt einer nach oben verlaufenden Temperaturkurve hinzu: 2040 schnitten beide einander (1,5 Grad sind 2020 dran). Nordhaus führte die Zwei-Grad-Grenze allerdings nicht als wertebasiertes Ziel einer künftigen Klimapolitik ein, sondern er benutzte sie als gedankliche Grundlage für davon ausgehende Kosten-Nutzen-Analysen (siehe: solarify.eu/999-zwei-grad-grenze, onlinelibrary.wiley.com/abstract).
*)Aus der 2-Grad-Grenze wurde (im Deutschen) über die Jahre ein 2-Grad-Ziel. Unter Ziel verstehen wir gemeinhin etwas Erstrebenswertes, für dessen Erreichung oder Überschreitung im Sport sogar Medaillen winken. Es geht aber um die Vermeidung einer Katastrophe, die nach Überzeugung von Experten schon bei 1,5 Grad einzutreten beginnt. Die keineswegs als radikal-ökologisch verschriene IEA rechnet dagegen in ihrem am 12.11.2012 veröffentlichten World Energy Outlook mit einer „langfristigen mittleren globalen Erwärmung um 3,6°C“.
Der Wissenschaftsjournalist Christopher Schrader besteht mit anderen ebenfalls darauf, dass es sich um eine Grenze, kein Ziel, handelt: „…die sogenannte Zwei-Grad-Grenze (und es ist eine Grenze, kein Ziel)…“.
Und Johan Rockström, Chef PIK-Potsdam: „Ich werde einfach müde… Ich habe es satt zu hören, dass die 1,5° C ein Z i e l oder R i c h t w e r t sind. Das sind sie nicht. Sie sind eine Grenze. Das einzige wirkliche Ziel sind 0° C. Und keine schlechten 1,5° C.“
Konkret hat Deutschland seinen fairen Anteil an einem globalen CO2-Budget, mit dem die 1,5 °C-Grenze mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 % eingehalten werden kann, bereits Anfang 2023 überschritten. Legt man eine Wahrscheinlichkeit von 50 % zugrunde, verbleibt noch ein sehr geringes deutsches Restbudget, das im Verlauf von 2024 aufgebraucht wird. Für eine Temperaturgrenze von 1,75 °C mit 67 % Wahrscheinlichkeit umfasst das maximale CO2-Budget für Deutschland noch 3,9 Gigatonnen CO2. Würden die Emissionen in diesem Fall ab heute linear auf null reduziert, müsste Deutschland spätestens 2037 CO2-neutral sein. Aus Sicht des SRU sollte sich die deutsche wie die internationale Klimapolitik weiterhin an der Einhaltung der 1,5°C-Grenze orientieren, auch wenn das hierfür verbleibende CO2-Budget auch auf globaler Ebene inzwischen sehr klein ist.
Die Berechnungen beruhen auf aktuellen Emissionsdaten sowie verbesserten wissenschaftlichen Analysen zum verbleibenden globalen CO2-Budget, die seit den letzten Veröffentlichungen des Weltklimarates erschienen sind. Sie verwenden ansonsten die gleiche Methodik wie die früheren Veröffentlichungen des Umweltrats zum CO2-Budget (SRU 2020 und 2022).
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) berät die Bundesregierung seit mehr als 50 Jahren in Fragen der Umweltpolitik. Die Zusammensetzung des Rates aus sieben Professorinnen und Professoren verschiedener Fachdisziplinen gewährleistet eine wissenschaftlich unabhängige und umfassende Begutachtung, sowohl aus naturwissenschaftlich-technischer als auch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive.
Der Rat besteht derzeit aus folgenden Mitgliedern:
- Prof. Dr. Claudia Hornberg (Vorsitzende), Universität Bielefeld
- Prof. Dr. Claudia Kemfert (stellvertretende Vorsitzende), Leuphana Universität Lüneburg und Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin
- Prof. Dr.-Ing. Christina Dornack, Technische Universität Dresden
- Prof. Dr. Wolfgang Köck, Universität Leipzig und Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
- Prof. Dr. Wolfgang Lucht, Humboldt-Universität zu Berlin und Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
- Prof. Dr. Josef Settele, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
- Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller, FernUniversität in Hagen
->Quellen: