Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: „Schweizer Bundesregierung missachtet mit ungenügendem Klimaschutz Menschenrechte“
Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat am 09.04.2024 drei sehr unterschiedliche, wenn nicht gar widersprüchliche Urteile im Zusammenhang mit dem Klimawandel erlassen. Im Fall Verein KlimaSeniorinnen Schweiz und andere gegen die Schweiz stellte der Gerichtshof Verstöße gegen Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) und Artikel 6 § 1 (Zugang zu einem Gericht) der Europäischen Menschenrechtskonvention fest, da die Schweiz keine ausreichenden Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ergriffen hat. Das Urteil der Großen Kammer in diesem Fall ist rechtskräftig. Das Ministerkomitee des Europarates wird nun die Umsetzung des Urteils durch die schweizerischen Behörden überwachen.
Die Beschwerden in zwei weiteren Fällen im Zusammenhang mit dem Klimawandel – Duarte Agostinho und andere gegen Portugal und 32 andere sowie Carême gegen Frankreich – befand der Gerichtshof für unzulässig.
Geklagt hatten sechs Jugendliche aus Portugal. Ihre Klage war entschieden weiterreichend und wurde „mit einer wenig überzeugenden, rein formalen Begründung abgewiesen“ (Sonnenseite.de). Die Klage richtete sich gegen 32 Länder, darunter alle 27 EU-Staaten sowie die Schweiz, Norwegen, die Türkei, Großbritannien und Russland. Die jungen Portugiesen wollten erreichen, dass diese 32 Länder weit weniger Treibhausgase ausstoßen dürfen als bisher.
Die „wenig überzeugende Begründung“ des Gerichts für die Ablehnung: Die Jugendlichen müssten sich zuerst in Portugal durch alle Instanzen klagen und dann erst auf europäischer Ebene. Franz Alt fragt sich dazu: „Ist die Klimakrise nur ein Schweizer Problem und nur eines für Senioren und Seniorinnen, Ihr Richter in Straßburg? Das Gericht hat der Schweizer Regierung nicht einmal Auflagen erteilt. Bei aller Freude über das Schweizer Urteil: Es könnte sehr wohl sein, dass es praktisch völlig unwirksam bleibt.“
Die RichterInnen bestätigten im Urteil der Schweizer Klimaseniorinnen, dass Staaten gegen Menschenrechte verstoßen, wenn sie zu wenig für den Klimaschutz tun. Die Entscheidung des EGMR kann auch für Deutschland Konsequenzen haben, denn die Deutsche Umwelthilfe (DUH) unterstützt neun Jugendliche und junge Erwachsene, die vor dem EGMR auf ähnliche Weise gegen die Bundesregierung und für ambitionierteren Klimaschutz klagen. Der Gerichtshof hatte die Entscheidung in diesem Verfahren so lange ruhend gestellt, bis über das Verfahren der Schweizer Klimaseniorinnen entschieden ist.
Dazu DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Der Erfolg der Schweizer Klimaseniorinnen ist ein wegweisender Durchbruch für den Klimaschutz und zeigt, dass auch unsere im Oktober 2022 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereichte Klage gegen die Bundesregierung Aussicht auf Erfolg hat. Denn nach wie vor gefährdet das ungenügende Klimaschutzgesetz die Freiheit und Lebensgrundlagen der jungen Beschwerdeführenden und zukünftiger Generationen. Zwar beteuert die Bundesregierung, Deutschland auf einen 1,5-Grad-Pfad bringen zu wollen, neueste Untersuchungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen belegen allerdings, dass das 1,5-Grad-Budget für Deutschland bereits aufgebraucht ist. Das ist nicht akzeptabel und widerspricht den Menschenrechten. Anstatt wie von den Ampelparteien geplant, sollte das bestehende Klimaschutzgesetz nicht entkernt, sondern umgekehrt konsequent umgesetzt und die Zielvorgaben verschärft werden.“
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