Fahrverbots-Androhung vom Tisch – um welchen Preis?
Die Fraktionen der Ampelkoalition haben sich nach monatelangen Streitereien auf eine – bisher eher unerwartete – Reform des Klimaschutzgesetzes geeinigt. Dem Kompromiss zufolge werden die starren Sektorziele für die Treibhausgasemissionen doch aufgehoben. Stattdessen soll die Einhaltung der Klimaziele (wie nicht unüblich in Streitfällen) in die Zukunft verschoben und sektorübergreifend ausgerichtet werden. Als Ausgleich einigte sich die Koalition laut Auskunft der Fraktionen von SPD, Grünen und FDP auf die Förderung von Solaranlagen, wie die Neue Zürcher Zeitung im Verein mit vielen weiteren Medien (etwa tagesschau.de oder heute.de) schreibt.
Eine erste Novelle für ein neues Gesetz hatte Minister Habeck schon im Sommer 2023 vorgelegt. Kurz darauf wurde das Klimaschutzgesetz vom Kabinett verabschiedet – im Juni, das Solarpaket im August. Seither wurde über beide Gesetzesvorhaben gestritten. Denn bislang galt, dass Sektoren, die die Vorgaben zu den CO2-Emissionen nicht einhalten, im Folgejahr Sofortprogramme vorlegen müssen. Die FDP hatte aber die Treibhausgasausstoßziele für einzelne Sektoren abgelehnt. Habeck bestand aber zusammen mit den Grünen lange Zeit darauf. Weil die CO2-Emissionen im Verkehrssektor aber immer höher ausfielen, hatte Verkehrsminister Wissing sogar laut über Fahrverbote nachgedacht. Doch das ist jetzt gebannt. Dafür gibt es mehr Förderung für die Erneuerbaren Energien.
Künftig sollen die deutschen Ministerien nicht mehr zu Sofortprogrammen verdonnert werden, wenn die Klimaziele in ihrem Bereich nicht erreicht wurden. Stattdessen soll künftig die CO2-Bilanz über alle Sektoren hinweg betrachtet werden – und davon ausgehend dann mögliche politische Maßnahmen beschlossen werden. Ab sofort zähle nur noch, dass die Klimaziele insgesamt erreicht werden und nicht mehr, an welcher Stelle die Emissionen reduziert würden, sagte FDP-FraktionsvizeLukas Köhler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag. Durch die Abschaffung der jährlichen Sektorziele sei sichergestellt, dass es im laufenden Jahr keine Fahrverbote geben werde, vor denen sein Parteifreund Wissing gewarnt habe.
Mit der Novelle soll der Klimaschutz jetzt stärker langfristig ausgerichtet werden. „Das neue Klimaschutzgesetz bindet die Bundesregierung erstmals, konkrete Klimaschutzmassnahmen auch für die Zeit 2030 bis 2040 aufzustellen“, sagte die Grünen-Politikerin Julia Verlinden nach der Einigung. Deutschland hat sich vorgenommen, seine CO2-Emissionen bis 2040 gegenüber 1990 um mindestens 88 Prozent zu senken. Daran werde die Bundesregierung auch künftig festhalten, stellte der SPD-Klimapolitiker Michael Miersch klar. „Selbstverständlich gelten die CO2-Minderungsziele des gültigen Gesetzes gleichzeitig weiter. Durch die Novelle darf kein Gramm CO2 mehr ausgestossen werden.
Reaktionen:
Deutsche Umwelthilfe bewertet Zustimmung der Ampelfraktionen zur Entkernung des Klimaschutzgesetzes als „Kniefall vor der FDP“
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die Zustimmung der Fraktionsspitzen von SPD und Grünen zur Änderung des Klimaschutzgesetzes aufs Schärfste. Die DUH fordert alle Bundestagsabgeordneten auf, der geplanten Aufweichung nicht zuzustimmen. Erst im November hatte die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg auf Grundlage des Klimaschutzgesetzes erwirkt, das die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz im Verkehrs- und Gebäudebereich verpflichtet. Mit der Entkernung des Klimaschutzgesetzes sollen diese Bereiche nun aus der Verantwortung genommen werden. Mit diesem Klimaschutzgesetz seien in dieser Legislatur keinerlei Nachbesserungen beim Klimaschutz mehr verpflichtend und die Klimaschutzlücke im Verkehr werde auf die lange Bank geschoben, kritisiert die DUH.
Dazu DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Die Fraktionsspitzen von SPD und Grüne leisten sich mit der Entkernung des Klimaschutzgesetzes einen erneuten Kniefall vor der FDP. Wir fordern alle Abgeordneten des Bundestages auf, gegen die beispiellose Schleifung des Klimaschutzgesetzes zu stimmen. Die Abschaffung verbindlicher Sektorvorgaben dient einzig dazu, die Bundesregierung und insbesondere Porsche-Minister Volker Wissing beim Klimaschutz aus der Verantwortung zu nehmen. Sehenden Auges nehmen SPD und Grüne dadurch in Kauf, dass die Klimaschutzlücke von 180 Millionen Tonnen CO2 im Verkehrssektor auf absehbare Zeit nicht verkleinert wird. Das Parlament würde sich mit dieser Entkernung des Gesetzes an den Rechten künftiger Generationen und aller Menschen vergehen, die schon heute massiv unter der Klimakrise leiden. Erst letzte Woche hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass Klimaschutz Menschenrecht ist. Jetzt wäre ein Moment des Innehaltens gewesen. Stattdessen übergehen die Ampel-Fraktionsspitzen dieses Urteil nun in dreister Weise und machen sich so zum Totengräber verantwortungsvoller Klimaschutzpolitik in Deutschland. Wir werden das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten im Bundestag genau protokollieren und bei der Aufstellung der nächsten Bundestagskandidaten wirksam ins Gedächtnis rufen. Sollte der Bundestag diese Gesetzesänderung verabschieden, werden wir zudem rechtliche Schritte prüfen.“
BEE: Solarpaket I – Gordischer Knoten endlich durchschlagen
Die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V. (BEE), Dr. Simone Peter, begrüßt die lange geforderte Einigung der Regierungsfraktionen im Sinne von Bürokratieabbau und Beseitigung administrativer Hemmnisse, benennt aber auch Schwachstellen:
„Zum Jahrestag des Atomausstiegs, der eindrucksvoll belegt, dass Erneuerbare mittlerweile nicht nur die restlichen Atomstrommengen, sondern auch Kohlestrom verdrängen, hat sich die Ampelfraktion endlich auf das Solarpaket I und damit auf Erleichterungen für den Ausbau der Solarenergie geeinigt. Damit wurde der Knoten durchschlagen, um überbordende Bürokratie und weitere administrative Hürden zu beseitigen – von Mieter*innenstrom über Gewerbedächer bis Agri-PV. Auch der Betrieb von Balkonkraftwerken soll einfacher werden sowie die Nutzung von selbst erzeugtem Sonnenstrom in Mehrfamilienhäusern.
Die Koalitionäre müssen jetzt sicherstellen, dass der Bundesrat am 26.04. über den Vorschlag abstimmen kann. Ansonsten blieben auch die Möglichkeiten der RED III, die die Einführung von Beschleunigungsgebieten für Windenergie vorsieht, ungenutzt. Deren Umsetzung stellt die größte Chance für einen schnelleren Windenergieausbau in dieser Legislatur dar.
Die erste Durchsicht des Entwurfs macht auch Schwächen deutlich: Die Duldungspflicht für den Bau von Leitungen zum Anschluss von Erneuerbare-Energien-Anlagen soll nur für öffentliche Flächen gelten. Ein für die heimische Produktion wichtiger Resilienzbonus fehlt vollständig, obwohl die Koalition die Förderung der Resilienz in der fossilen Versorgungskrise zu einer zentralen Aufgabe erklärt hatte. Hier braucht es nun andere Maßnahmen zur Stärkung unserer Klimaschutztechnologien.“
„Klimaschutzgesetz stellt Rückschritt dar“
„Bei der Biomasse gibt es einige Verbesserungen, jedoch reichen diese bei Weitem nicht aus, um den bereits eingesetzten Rückbau bei dringend benötigten Biogasanlagen abzufedern. Hier muss in den kommenden Gesetzgebungsverfahren dringend nachgebessert werden.
Einen Rückschritt stellt das gleichzeitig verhandelte Klimaschutzgesetz dar, in dem die bislang geltenden sektorscharfen Klimaziele aufgeweicht werden sollen.
Mit dem Solarpaket I ist ein wichtiger Schritt getan, um künftig auch die verbliebenen fossilen Energieträger zu ersetzen und damit Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaschutz zu gewährleisten sowie die Energiewende zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern fortzusetzen. Weitere Schritte müssen aber dringend folgen.“(bee-ev.de/einigung-zum-solarpaket-i-gordischer-knoten-endlich-durchschlagen)
Greenpeace Stellungnahme: Harte Kritik an der Einigung zum Klimaschutzgesetz durch die Regierungskoalition
Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland kritisiert die Einigung der drei Fraktionen stark: „Die FDP hat das Solarpaket als Geisel genommen, um ihren Verkehrsminister aus seiner rechtlich bindenden Verantwortung freizupressen.Dieses entkernte Klimaschutzgesetz ist ein herber Rückschlag für den Schutz des Klimas und es löst kein einziges Problem, vor dem die Bundesregierung schon zuvor stand. Nur wenn Verkehrsminister Wissing jetzt wirksame Maßnahmen beim Klimaschutz ergreift, kann er den deutschen Steuerzahlenden ab 2027 Milliardenstrafen für verpasste EU-Ziele ersparen. Deutschland braucht schnelle Schritte, um den CO2-Ausstoß im Verkehr zu senken und gerade der Autobranche einen klaren Rahmen für die sozialökologische Reform zu setzen. Ansonsten verpasst die Regierung ihren gesetzlichen Auftrag, tatsächlich bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden. Die Folge wären weitere Klimaklagen vor dem Bundesverfassungsgericht.“ (greenpeace-stellungnahme-harte-kritik-an-der-einigung-zum-klimaschutzgesetz-durch-die-regierungskoalition)
BUND: Schlag gegen den Klimaschutz
Zum novellierten Bundesklimaschutzgesetz und dem im November 2023 vom BUND erstrittenen Klimaschutz-Urteil gegen die Bundesregierung erklärt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):
„Die Einigung zum neuen Gesetz ist ein Schlag gegen die Klimaschutzarchitektur in Deutschland: Statt Verbindlichkeit und Zuständigkeit gibt es jetzt geteilte Verantwortungslosigkeit. Dem Gesetz wurden entscheidende Zähne gezogen. Klimaschutz soll ungestraft auf die lange Bank geschoben werden. Damit untermauert die Ampel ihren ambitionslosen Klimakurs und vertagt notwendigen Klimaschutz in die nächste Legislaturperiode.
Ein fatales Bild: Gerade erst ist die Regierung durch unsere Klage zu mehr Klimaschutz verurteilt worden, jetzt ändert sie die Grundlage. Heute hat auch der Klima-Expertenrat dringlich neue Maßnahmen-Pakete gefordert. Die klimapolitische Situation erfordert genau das Gegenteil dessen, was die Ampel tut. Die Klimaziele für die Sektoren gelten auch europäisch und sie sind einzuhalten. Die Bundesregierung muss noch sehr viel liefern, um das Klimaziel 2030 erreichbar zu machen. Aber wenn nicht in dieser Legislatur die trägen Bereiche Gebäude und Verkehr auf Kurs gebracht werden, sind weder das Klimaziel 2040 noch die Klimaneutralität erreichbar. Genau das zeichnet sich ab mit dem neuen Gesetz und einer unwilligen Ampel-Regierung.
Weiterhin müssen die europäischen Klimaziele mit Minderungsverpflichtungen für die Sektoren Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft erreicht werden, sonst drohen empfindliche Strafzahlungen. Wir erwarten, dass die Bundesregierung jetzt neue Klimaschutz-Pakete für Gebäude und Verkehr vorlegt. Die Emissionen müssen jetzt adressiert werden, damit künftig die Chance besteht, auf Klimakurs zu kommen. Werden diese Maßnahmen weiter vertagt, verschärft Deutschland sein strukturelles Klimaschutzproblem.“ (bund.net/expertenrat-fuer-klimafragen-bund-fordert-kurskorrektur-im-klimaschutz)
->Quellen:
- nzz.ch/klimaschutzgesetz-ampelfraktionen-einigen-sich-auf-reform
- zdf.de/klimaschutzgesetz-ampel-einigung
- tagesschau.de/iklimaschutzgesetz-ampel-solarpaket
- solarify.eu/wissing-und-der-holzhammer-expertenrat-fordert-sofortprogramm
- deutsche-umwelthilfe-bewertet-zustimmung-der-ampelfraktionen-zur-entkernung-des-klimaschutzgesetzes
- greenpeace-stellungnahme-harte-kritik-an-der-einigung-zum-klimaschutzgesetz-durch-die-regierungskoalition
- bee-ev.de/einigung-zum-solarpaket-i-gordischer-knoten-endlich-durchschlagen
- bund.net/expertenrat-fuer-klimafragen-bund-fordert-kurskorrektur-im-klimaschutz