Gebäude zirkulär denken: Kreislaufwirtschaft am Bau

Wie lange leben Gebäude?

Wer sich darüber Gedanken macht, muss sich überlegen, was mit einem Gebäude am Ende seiner Nutzung geschieht. Stichwort „Kreislaufwirtschaft“. Was also können Eigentümer und Planer- sowie Hersteller tun, um Gebäude und Baumaterialien mehrfach zu nutzen und wiederzuverwerten? Welche alternativen Konstruktionsmethoden im Sinne der Kreislaufwirtschaft gibt es? fragt Heiko Hensing auf der Internetseite seiner Vollack-Gruppe.

Zirkuläres Bauen? Gedämmtes Haus in Dijon – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Mehr als 10.000 Gebäude werden Schätzungen zufolge jedes Jahr in Deutschland abgerissen. Die beste Möglichkeit, Ressourcen und Emissionen zu sparen, ist, den Gebäudebestand zu erhalten oder diesen anderen Nutzungen zuzuführen. Kreislaufwirtschaft gewinnt im Bauwesen zunehmend an Bedeutung und erlebt eine wachsende Nachfrage. Sie soll den Lebenszyklus von Gebäuden zu verlängern und den ökologischen Fußabdruck minimieren.

Rund 40 Prozent der CO2-Emissionen und nahezu ein Drittel aller Abfälle in der Europäischen Union (EU) entstehen im Prozess des Bauens. Die Revitalisierung eines Bestandsgebäudes ist also ein zentrales Thema und aus ökologischen Gesichtspunkten zumeist sehr sinnvoll. Aus funktionalen, technischen oder ökonomischen Gründen ist sie jedoch nicht immer möglich. Bei der Betrachtung des Lebenszyklus‘ eines Gebäudes und darüber hinaus zählt Carsten Oschietzky auf der Webseite vollack.de/blog/zirkulaeres-bauen-der-kreislaufwirtschaft-gehoert-die-zukunft folgende Aspekte auf:

Kreislaufwirtschaft: Rückbau und Entsorgung

Der Primärenergieaufwand für den Rückbau und die Entsorgung eines Gebäudes und somit aller verbauten Baustoffe ist in der Bewertung der sogenannten grauen Energie enthalten und geht darüber in seine Ökobilanz ein. Der Lebenszyklus ist damit – die Ökobilanz betreffend – abgeschlossen.

Gehen wir nun aber einen Schritt weiter und berücksichtigen in der Planung nicht nur die für die Bilanzierung relevante graue Energie, sondern betrachten die zurückgebauten Baumaterialien als Wert-Stoffe – denn es geht um Stoffe, die sowohl ökonomisch als auch ökologisch noch einen erheblichen Wert besitzen. In diesem Fall muss die Wieder- beziehungsweise Weiterverwertung in der Wahl der Gebäudekonstruktion und der Baustoffe ebenfalls berücksichtigt werden. Ressourcenschonung bedeutet also nicht nur, ein Gebäude mit möglichst geringem Materialeinsatz zu planen. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft gilt es auch zu beachten, welche Baustoffe nach Ende des Gebäudelebenszyklus‘ wertschöpfend wieder in den (Bau-)Stoffkreislauf zurückgeführt werden können. Dabei muss  bei der Materialauswahl berücksichtigt werden:

  • Langlebigkeit
  • Homogenität und Trennbarkeit sowie
  • Schadstofffreiheit

Wert-Stoff oder Schad-Stoff?

Zur Verdeutlichung zwei unterschiedliche Außenwandkonstruktionen:

  1. Negativbeispiel: die ungünstige Konstruktion mit einem Wandaufbau aus Stahlbeton und Wärmedämmverbundsystem (WDVS) aus expandiertem Polystyrol (EPS).
  2. Postitive Alternative: ökologisch nachhaltiger Wandaufbau in Holzrahmenbauweise mit Zellulose-Faserdämmstoff.

1. Beispiel Stahlbeton mit WDVS

Der Wandaufbau aus Stahlbeton – Neben der Tatsache, dass die Wand aus zwei Baustoffen besteht, die für ihre Herstellung viel Energie benötigen, sind beide durch ihre Zusammensetzung als Mischbaustoff (Stahl und Beton bzw. EPS-Dämmstoff und Putz) nicht homogen. Sind bereits die einzelnen Bestandteile kaum oder nur mit hohem Aufwand sortenrein zu trennen, so kommt die Verklebung des WDVS auf der Betonoberfläche erschwerend hinzu. Lassen sich nach einer sortenreinen Trennung zumindest beim Beton durch einen Recyclingprozess noch sogenannte Sekundärrohstoffe (z. B. Betonsplitt, Brechsand) herstellen, müssen ältere EPS-Dämmstoffe meist als Sondermüll entsorgt werden. Sie können also nur der „energetischen Verwertung“ in einer Müllverbrennungsanlage zugeführt werden.
In Sachen Langlebigkeit hat der Stahlbeton zwar hervorragende Eigenschaften, vergleichbare Werte kann das Wärmedämmverbundsystem aber nicht vorweisen. Im Gegenteil: Mit einer Lebensdauer von 20 bis 40 Jahren liegt es deutlich unter der von Stahlbeton (80 bis 100 Jahre), was mindestens eine Erneuerung des WDVS über die Lebensdauer des Gebäudes mit sich bringt. Erwartungsgemäß erfüllt diese Wand aus Sicht einer nachhaltigen Wiederverwertbarkeit die oben genannten Kriterien Langlebigkeit, Homogenität und Trennbarkeit sowie Schadstofffreiheit nicht.

2. Beispiel Holz mit Zellulose-Faserdämmstoff

Deutlich besser schneidet die Außenwandkonstruktion aus natürlichen Baustoffen ab: eine Holzrahmenkonstruktion mit Zellulose-Faserdämmstoff. Durch die Verwendung nachwachsender Rohstoffe werden im gesamten Wandaufbau mehr graue Emissionen gebunden als bei der Herstellung entstehen. Sie sind weitgehend schadstofffrei und in punkto Langlebigkeit kann es die Holzkonstruktion mit Stahlbeton durchaus aufnehmen. Im Gegensatz zum ersten Wandaufbau ist die Dämmung nicht der Witterung ausgesetzt – ihre Lebensdauer ergibt sich aus der Haltbaerkeit der Holzrahmenkonstruktion. Eine Erneuerung wie beim WDVS und der damit einhergehende zusätzliche Ressourcenverbrauch wird vermieden. Die einzelnen Baustoffe sind homogen und lassen sich beim Rückbau unproblematisch sortenrein trennen. Zellulosedämmstoffe bestehen zum Großteil aus recyceltem Altpapier und werden von vielen Herstellern bei sortenreiner Anlieferung zur Wiederverwendung zurückgenommen. Vergleichbares gilt für qualitativ hochwertiges Bauholz, das sich ohne größeren Qualitätsverlust wiederverwenden lässt. Auch minderwertigeres Holz findet als Wertstoff den Weg zurück in den Stoffkreislauf, beispielsweise als Holzfaser- und Spanplatten. Es findet also nicht wie bei Beton automatisch ein Downcycling des Baustoffs statt. Im Gegenteil: Durch die Möbelindustrie kommt es immer öfter zum Upcycling von Holzprodukten.

Verantwortungsvolle Planung setzt auf nachwachsende Baustoffe, die bei einem Rückbau wieder in den Materialkreislauf Aufnahme finden.

Durchgängige Kreislaufwirtschaft: Cradle to Cradle

Durch die Auswahl einer ökologisch nachhaltigen Bauweise mit langlebigen, schadstofffreien, homogenen und somit leicht recycelbaren Baustoffen lässt sich der (Bau-)Stoffkreislauf signifikant verlängern. Es werden Wertstoffe erhalten und schadstoffhaltiger Müll vermieden, der infolge seiner Zusammensetzung in der Müllverbrennungsanlage endet und damit den Stoffkreislauf verlässt. Dieser Gedanke findet in der Ökobilanz eines Produkts bislang jedoch keine Beachtung, da in der Bilanzierung lediglich die Umweltwirkungen von der Wiege bis zur Bahre, also „from Cradle to Grave“, Berücksichtigung finden.

Aus Nachhaltigskeitsgesichtspunkten muss die Lebenszyklusbetrachtung einer Ökobilanz entsprechend um eine Ebene ergänzt werden, und zwar um das Bestreben nach einer durchgängigen Kreislaufwirtschaft. Dieser ganzheitlichen Sichtweise sollte durch die Wiedereingliederung der Bauprodukte in einen nachhaltigen Stoffkreislauf entsprechend dem Cradle-to-Cradle-Ansatz, sinngemäß übersetzt „vom Ursprung zum Ursprung“, Rechnung getragen werden. Wenn ein Gebäude am Ende seiner Lebensdauer abgerissen werden muss, sollten so viele Wertstoffe wie möglich aus dem Gebäude zurückgewonnen werden können.

Hierzu vermittelt der in den 1980er Jahren von dem Japaner Hideo Nanjyo geprägte Begriff des Urban Mining, ein prägnantes Bild. Demnach sollten eine Stadt und ihre Gebäude in Anlehnung an ein Bergwerk als Ansammlung von wiederverwendbaren Wert-Stoffen betrachtet werden – Wertstoffe, die es bei einem späteren Gebäudeabriss wiederzugewinnen gilt und die damit in Anbetracht der Ressourcenschonung dem Stoffkreislauf nicht verloren gehen.

Das Vollack-Projekt Solarparc: In massiver Holzbauweise, klimaneutral hergestellt, klimaverträglich in der Nutzung, insgesamt mit einer hervorragenden Ökobilanz

Der nachhaltigste Umgang mit einer Bestandsimmobilie nach Abschluss ihres Lebenszyklus ist eine Revitalisierung. Denn Gebäude oder Gebäudeteile, die nicht abgerissen werden, müssen auch nicht recycelt werden. Sie erfüllen somit automatisch die nachhaltige Aufgabenstellung der Ressourcenschonung und damit der Vermeidung von klimaschädlichen Emissionen. Auch wenn es auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen mag, sich bei einer Neubauplanung bereits über das Ende der Gebäudenutzung Gedanken zu machen, muss eine weitsichtige Planung die damit zusammenhängenden Aspekte und Umweltwirkungen berücksichtigen. Die Auswirkungen einer ökologisch nachhaltigen Gebäudeplanung werden für die kommenden Generationen spürbar und von größter Bedeutung sein – den Grundstein dafür müssen wir jetzt legen. Werden Gebäude also so konzipiert, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus revitalisierbar beziehungsweise verwertbar sind, leistet die Planung- und Bauwirtschaft im Schulterschluss mit Investitionsentscheidern und -entscheiderinnen einen erheblichen Beitrag zur Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz.

Was ist Kreislaufwirtschaft?

In der Kreislaufwirtschaft liegt die große Hoffnung des ressourcen- und klimaschonenden Wirtschaftens. Die Kreislaufwirtschaft führt Stoffe effizient im Kreislauf weiter, anstatt sie als Abfall zu verbrauchen. Die Hälfte des bundesweiten Abfallaufkommens sind Bau- und Abbruchabfälle. In der Kreislaufwirtschaft, im zirkulären Wirtschaften im Bauen, liegt also ein enormes Potenzial für den Klimaschutz.

->Quellen: