Text von Uwe Schneidewind
Um auch zukünftig für die wachsende Anzahl an Menschen Wohlstand innerhalb der ökologischen Grenzen zu gewährleisten, ist eine große Transformation auf kultureller, institutioneller und ökologischer Ebene nötig. Das Verständnis dieses Prozesses als „Transformative Literacy“ steht im Mittelpunkt des Textes von Uwe Schneidewind „Wandel verstehen – auf dem Weg zu einer Transformative Literacy“,ein Beitrag zu dem Sammelband „Wege aus der Wachstumsgesellschaft“ von Harald Welzer und Klaus Wiegandt.
Die Menschheit ist seit wenigen Jahrzehnten in eine Epoche eingetreten, in der sie die globalen ökologischen Randbedingungen ihres Zusammenlebens und Wirtschaftens selber massiv beeinflusst („Anthropozän“). Nur durch eine „große Transformation“ (WBGU) scheint es möglich, im Jahr 2050 für rund neun Milliarden Menschen Wohlstand innerhalb der gegebenen globalen ökologischen Grenzen zu gewährleisten. Ein solch umfassender Wandlungsprozess benötigt dabei mehr als rein technologische Veränderungen. Es handelt sich um ein Transformationsprogramm auch auf ökonomischer, institutioneller und kultureller Ebene. Das Verständnis für diese mehrdimensionalen Veränderungen kann als „Transformative Literacy“ bezeichnet werden. Eine solche Fähigkeit bzw. Bildung ist heute in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erst in Ansätzen verankert. Der Beitrag gibt einen Einblick in die Bausteine eines solchen umfassenden Wandlungsverständnisses. Im Ausblick zeigt er drei aktuell dominante „Schulen“ der Transformationsdebatte auf und beleuchtet sie vor dem Hintergrund des Bezugsrahmens.
Ein Ausschnitt: Eine „große Transformation“ muss eine Richtung haben. In den letzten Jahren der Debatte ist die Vision eines „Wohlstandes für 9 Milliarden Menschen innerhalb der planetarischen Grenzen im Jahr 2050“ unterschiedlich konkretisiert worden. Die im Brundtland- Bericht (United Nations 1987) 1987 geprägte und später auf der Weltumweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 popularisierte Formel der „Nachhaltigen Entwicklung“ steht genau für diese Vision. Sie kann bezogen auf unterschiedliche Teilherausforderungen konkretisiert werden: Die Visionen einer 100 Prozent erneuerbaren Energieversorgung (WBGU 2011), einer ressourcenleichten Welt (Bringezu / Bleischwitz 2009) oder von Postwachstumsgesellschaften (Jackson 2009; Seidl / Zahrnt 2010) sind solche Konkretisierungen. Sie haben alle gemein, dass die Umsetzung dieser Visionen einenWandel erfordert, der mehrere gesellschaftliche Bereiche umfasst. Im vorliegenden Beitrag wird insbesondere auf die Vision einer umfassenden „Energiewende“ Bezug genommen, d. h. der Umstellung der Energieversorgung bis zum Jahr 2050 auf imWesentlichen erneuerbare Energieträger bei gleichzeitiger Vermeidung von Problemverschiebungen.
„Problemverschiebungen“ liegen einmal vor, wenn die Lösung eines Umweltproblems die Verschärfung eines anderen bewirkt. Beim Ausbau der Bio-Treibstoff- Produktion waren und sind z. B. solche Problemverschiebungen zu beobachten: Die möglichen Klimaentlastungen durch den Einsatz von Bio-Treibstoffen gehen einher mit Verlust von Artenvielfalt und ökologisch bedenklichen Landnutzungsmustern insbesondere in den Regenwaldregionen Asiens und Südamerikas (vgl. Bringezu et al. 2009). Hinter Problemverschiebungen verbergen sich aber auch sogenannte „Rebound“-Effekte, d. h. durch ökologische Effizienzsteigerungen ausgelöste Wachstumseffekte, die zumindest einen Teil der ökologischen Entlastungen zu kompensieren drohen (vgl. Santarius 2012; Enquete- Kommission 2012; Weizsäcker 2010). Zu beherrschen sind solche Effekte nur, wenn technologische Innovationen zusammen gedacht werden mit Veränderungen im Konsumverhalten und institutionellen Veränderungen. Die Idee der „Energiewende“ steht für ein solch umfassendes Transformationsprojekt. Durch die Entscheidung für eine nationale Energiewende im Jahr 2011 ist Deutschland ein wichtiger globaler Vorreiter für ein Transformationsprojekt im globalen Maßstab geworden.
Der Text steht auf dem Publikationsserver des Wuppertal Instituts zum Download bereit: epub.wupperinst.org; das Buch: fischerverlage.de