Börsenwert der Fossil-Konzerne massiv bedroht
Mit freundlicher Genehmigung von Karl Gaulhofer (Berliner Korrespondent Die Presse, Wien) –
Damit das Klima nicht kippt, dürfen wir nur mehr ein Drittel der gesicherten Reserven an Öl, Gas und Kohle verbrennen. Doch die Konzerne bohren eifrig weiter. Platzt die Kohlenstoffblase, droht der Börsenkrach. Siehe auch auf Solarify: Die große Wette auf die Selbstzerstörung.
Wie sehen Klimahelden aus? Wer rettet den Planeten vor seiner unkontrollierten Erwärmung? Viele besorgte Bürger hoffen auf Politiker, die auf globalen Konferenzen mitreißende Reden schwingen. Oder auf Umweltaktivisten in Strickjacken, die beherzt Bohrtürme stürmen. Insider aber tippen auf eine ganz andere Spezies: smarte Finanzexperten, die in Anzug und Krawatte vor Computerbildschirmen sitzen, Zahlen wälzen und Investoren Angst einjagen.
Die Carbon-Tracker-Initiative hat sich am Themseufer eingemietet. Jenseits des Flusses liegt die City of London. Auf Europas Finanzplatz Nummer eins sind viele der weltgrößten Rohstoffkonzerne gelistet, wie BP, Shell, Anglo oder BHP Billiton. Händler und Fondsmanager machen hier das große Geld mit fossilen Brennstoffen. Grüne Wende? Auf den Dächern der Wolkenkratzer stehen ein paar Solarpaneele fürs gute Image. Klimawandel? Hier reagiert die Realität der Märkte. Kohle macht Kohle, und die Geschäfte laufen wie mit Öl geschmiert.
Nüchterne BWL-Prosa: Entweder Klimakatastrophe oder Weltfinanzkrise
Ausgerechnet von hier aus verbreitet die kleine Truppe ihre Botschaft. Die Analysten kommen aus der Branche. Sie sprechen eine Sprache, die im Milieu verstanden wird. Keine Wir-haben-die-Welt-nur-geerbt-Poesie, sondern nüchterne BWL-Prosa: diskontierte Cashflows, Fehlinvestitionen, Abwertungsbedarf. Am Anfang, vor drei Jahren, war da nur ein Wort: Carbon Bubble, die Kohlenstoffblase. Und drei Zahlen, die einfach nicht zusammenpassen. Aus ihnen ergibt sich: Wir haben die Wahl zwischen einer Klimakatastrophe oder einer Weltfinanzkrise. Außer es gelingt, aus der Blase kontrolliert die Luft rauszulassen und zugleich die Erderwärmung zu stoppen.
- Die erste Zahl ist bekannt: zwei Grad Celsius. Um höchstens so viel, sagt das Gros der Klimaforscher, darf die Temperatur bis 2050 steigen, um die dramatischen Folgen einer raschen Erderwärmung zu vermeiden: Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürme und Übersäuerung der Ozeane. Die Politiker haben in Kopenhagen und Cancún versprochen, dieses Ziel anzustreben. Verbindliches könnte 2015 in Paris folgen. Die Chancen dafür sind nach der Kehrtwende der USA und Chinas etwas gestiegen. Und sie könnten weiter steigen: „Wenn die Lebensumstände unerträglich werden, greifen irgendwann auch die renitentesten Regierungen ein“, ist Emanuel Heisenberg überzeugt. Der Enkel des großen Physikers treibt für den Berliner Thinktank Stiftung Neue Verantwortung die Debatte voran.
- Die zweite Zahl: 900 Gigatonnen. Diese Menge an Kohlendioxid dürfen wir noch durch Verbrennung fossiler Energieträger in die Atmosphäre blasen, wenn wir die Zwei-Grad-Grenze mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent einhalten wollen. Dieses CO2-Budget haben die Analysten von Carbon Tracker errechnet, auf Basis der Modelle der Internationalen Energieagentur (IEA).
- Irrt der Markt? Erst die dritte Zahl bereitet Kopfzerbrechen: 2860 Gigatonnen. So viel CO2 steckt in den nachgewiesenen Reserven an Erdöl, Erdgas und Kohle. Sie gehören Staaten oder privaten Energiekonzernen, die sich ihr Kapital an den Börsen holen. Die Menge ist über dreimal so hoch wie das gerade noch klimaverträgliche CO2-Budget. Wird sie zur Gänze verbrannt, sagt Heisenberg, „steuern wir kerzengerade auf weit über vier Grad zu – auf den Kollaps“. Aber die Konzerne scheint das nicht zu beeindrucken: Sie explorieren eifrig weiter. Das kostet sie jährlich fast 700 Mrd. Dollar.