Energiegenossenschaften in der Energiewende
mit freundlicher Genehmigung von Hella Engerer (aus: DIW Roundup – Politik im Fokus)
Die Energiewende soll zu einer nachhaltigen Energieversorgung auf der Grundlage regenerativer Energieträger führen. Zu ihrer Umsetzung spielen auch dezentrale Konzepte eine wichtige Rolle. Für die direkte Beteiligung von Bürgern bietet sich die Gesellschaftsform der Genossenschaft an, die dem wirtschaftlichen Nutzen ihrer Mitglieder dient und nicht in erster Linie profitorientiert ist. In den vergangenen Jahren kam es zunächst zu einem regelrechten Gründungsboom von Energiegenossenschaften, der auch auf die staatliche Förderung erneuerbarer Energien zurückzuführen ist. Die inzwischen vorgenommenen Änderungen der Förderung haben sich auf die Zahl der Neugründungen ausgewirkt. Energiegenossenschaften leisten vor allem in ländlichen Gegenden einen Beitrag zur Energieversorgung. Darüber hinaus setzen sie das Signal, dass die Energiewende von unten möglich ist.
Gründungsboom flacht ab
Die Idee, Produktion und Verteilung von Energie genossenschaftlich zu organisieren, ist keineswegs neu. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden vor allem zur Versorgung des ländlichen Raums lokale Elektrizitätsgenossenschaften gebildet. Im Deutschen Reich gab es etwa 6.000 Stromgenossenschaften (vgl. Holstenkamp und Müller 2013). Über die Jahre sind viele dieser Genossenschaften umstrukturiert oder teilweise mit anderen Versorgungsunternehmen im Zuge der Gründung von Stadtwerken zusammengelegt worden. Immerhin sind heute nach Holstenkamp und Müller etwas weniger als 50 der ursprünglichen Genossenschaften noch immer aktiv.
Im Zuge der Energiewende „von unten“ wurden in Deutschland in den vergangenen Jahren zahlreiche Energiegenossenschaften neu gegründet. Insbesondere nach dem Jahr 2006 setzte ein regelrechter Gründungsboom ein: Die Zahl der unter dem Dach des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands gegründeten Energiegenossenschaften lag 2006 bei nur 8 Genossenschaften, zwei Jahre später waren es bereits 43 und im Jahr 2010 schon 111 Genossenschaften pro Jahr (DGRV 2014). Der Spitzenwert wurde 2011 mit 167 neu gegründeten Energiegenossenschaften erreicht.
Der Gründungsboom ist auf die Förderung erneuerbarer Energien und hierbei insbesondere auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sowie auf die Neufassung des Genossenschaftsgesetzes 2006 zurückzuführen. Das EEG fördert mittels einer Einspeisevergütung die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Für Privatpersonen bietet sich hierzu unter anderem die Gründung einer Genossenschaft an, da – so der Wortlaut des Genossenschaftsgesetzes – deren „…Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder […] durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern…“ Genossenschaftsgesetz. Charakteristisch für Genossenschaften sind die sogenannten drei „S“: Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Die Gesellschaftsform der Genossenschaft bietet Vorteile, darunter die Haftungsbeschränkung und das Personenstimmrecht (George 2012). Mit der Novellierung des Genossenschaftsgesetzes wurde die Gründung einer Genossenschaft erleichtert; so sind nur noch drei statt zuvor sieben Gründungsmitgliedern erforderlich (vgl. ZGV 2006). Für kleine Genossenschaften wurden organisatorische Vereinfachungen vorgesehen. Zudem sind nunmehr investierende, also nicht nutzende Mitglieder zugelassen, was zu einer Verbesserung der Kapitalausstattung beitragen kann. Damit wurde für Privatpersonen der Anreiz erhöht, durch Gründung einer Genossenschaft einen Beitrag zur Energiewende „von unten“ zu leisten. Hinzu kommt, dass Volks- und Raiffeisenbanken, die dem genossenschaftlichen Sektor angehören, als Initiatoren von Energiegenossenschaften eine wichtige Rolle spielen (Volz 2012). Auch die Zusammenarbeit mit den Kommunen, die beispielsweise nicht genutzte Dachflächen öffentlicher Einrichtungen für Photovoltaikanlagen zur Verfügung stellen, wirkt sich positiv aus (DGRV 2014).
Energiegenossenschaften sind eine Form von „Bürgerenergie“. Als Bürgerenergie werden Projekte bezeichnet, in denen Bürger oder lokale Unternehmen Eigenkapital in (erneuerbare) Energieanlagen investieren (Leuphana Universität Lüneburg und Nestle, 2014). Die Beteiligten halten mindestens 50 Prozent der Stimmrechte und haben einen regionalen Bezug; wenn weniger als die Hälfte der Stimmrechte gehalten werden und die Beteiligten aus unterschiedlichen Regionen stammen, wird von Bürgerenergie im weiteren Sinne gesprochen (vgl. Leuphana Universität Lüneburg und Nestle, 2014). Es werden drei (Organisations-)Formen der „Bürgerenergie“ unterschieden: 1) Projekte einzelner Bürger, 2) Bürgerenergiegesellschaften und 3) Projekte (kleiner und mittlerer) landwirtschaftlicher und anderer lokaler Unternehmen. Energiegenossenschaften sind der zweiten Form zuzurechnen.
Mitglieder von Genossenschaften nennen als Hauptmotiv für ihr Engagement den Umwelt- und Klimaschutz (Volz 2010, Leuphana Universität Lüneburg und Nestle 2014) Die Renditeerzielung ist demgegenüber nachranging. Dies entspricht dem Genossenschaftsgedanken, der die gemeinsame wirtschaftliche Nutzung über die Profitorientierung stellt. Nach Angaben des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands erreichte die Dividende im Jahr 2012 knapp 4 Prozent (DGRV 2013) und im Folgejahr 4,26 Prozent (DGRV 2014). Sie liegt damit am unteren Rand der Renditeerwartungen von vier bis sechs Prozent, die Holstenkamp und Ulbrich (2010) allerdings in einer früheren Befragung von Energiegenossenschaften ermittelten.
Die meisten der neuen Energiegenossenschaften wurden im Bereich der Stromwirtschaft (insbesondere Photovoltaik) gegründet. Dies ergab eine Befragung, die der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV 2014) unter den 718 unter seinem Dach organisierten Energiegenossenschaften durchführte. Von den Genossenschaften, die an der Befragung teilnahmen (N=216), gaben 95 Prozent die Stromerzeugung und 4 Prozent die Stromverteilung an; in der Wärmeversorgung sind 16 Prozent tätig (Mehrfachnennungen waren möglich). Im Durchschnitt hatten die Stromgenossenschaften Anlagen mit einer Leistung von 1034 Kilowatt Peak installiert und dabei 7 Anlagen betrieben. Etwa ein Fünftel der Genossenschaften betreibt kleine Anlagen mit einer Leistung von unter 100 Kilowatt Peak. Insgesamt produzierten die Stromgenossenschaften etwa ein halbes Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Sie tragen damit nur in äußerst geringem Maße zur Stromversorgung bei. Auf lokaler Ebene leisten sie dennoch einen Beitrag, unter anderem indem sie die Akzeptanz der Energiewende erhöhen (vgl. unten).
Der Großteil der Energiegenossenschaften hat sich in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen und innerhalb dieser Bundesländer im ländlichen Bereich angesiedelt. Somit kann von einer Renaissance der Idee der Stromgenossenschaften gesprochen werden (Volz 2012). Allerdings hat sich der jährliche Zuwachs von Energiegenossenschaften zuletzt verringert; dies ist auch auf Veränderungen in der Förderung erneuerbarer Energien zurückzuführen. Der Gründungsboom flacht somit ab; 2013 wurden noch 129 Energiegenossenschaften gegründet (DGRV 2014).