Brisanter Statusstreit: Wann ist ein Meer ein Meer?

Kaspische Region und Europas Energieversorgung

Ist das Kaspische Meer ein Meer oder ist es ein See? Das ist keine Frage nur für juristische Experten, sondern eine politisch und wirtschaftlich hochbrisante Streitfrage für den Bau einer transkaspischen Pipeline. Das spielt bei Shah Deniz eine Rolle, eine der größten Öl- und Gaserschließungen der Welt. Von der Definition hängt ab, wer welche Bodenschätze fördern darf. Es geht um Erdöl und Erdgas im Wert von mehreren Billionen US-Dollar. Aber diese Frage ist auch für den Bau einer transkaspischen Pipeline relevant.

Nicht politisch oder rechtlich, sondern geologisch betrachtet, ist das Kaspische Meer mit Abstand der größte See der Erde. Es zerteilt Eurasien in zwei Kontinente und grenzt im Norden an Russland und Kasachstan, im Osten an Turkmenistan, im Süden an den Iran und im Westen an Aserbaidschan. Es ist 1.200 Kilometer lang, fast 500 Kilometer breit und bis zu 1.000 Meter tief.

Wegen seiner Größe – so groß wie Deutschland und Belgien zusammen – und des Salzgehalts des Wassers gilt es aber als Meer.

Immense Reserven an Erdöl und Erdgas
Unter dem Meeres- bzw. Seeboden befinden sich insbesondere bei Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, immense Reserven an Erdöl und Erdgas. Um die geht es in der Statusfrage, die bis heute nicht endgültig geklärt ist.

Als die jungen Anrainerstaaten (Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan) noch Teil der Sowjetunion waren, war der internationale Status des Kaspischen Meeres kein Problem. In Verträgen des vorigen Jahrhunderts zwischen Iran und der Sowjetunion wurden nur Fischerei und Schifffahrt geregelt. Damals galt es als Binnengewässer mit dem Recht der gemeinsamen Nutzung, beide Länder konnten das Gewässer unbegrenzt nutzen.

Nun fühlen sich die drei postsowjetischen Anrainerstaaten benachteiligt. Sie wollen das Kaspische Meer nicht als Binnengewässer, sondern als internationales Gewässer definiert wissen. In dem Fall hätte jeder Anrainer das alleinige Recht der Ausbeutung der Erdöl- und Erdgasvorkommen seiner Zone. Nach der alten Version, die von Russland und dem Iran favorisiert wird, müsste der Reichtum an Bodenschätzen unter allen Anrainern zu gleichen Teilen aufgeteilt werden.

Da die westlichen Mineralölkonzerne ebenfalls kein Interesse daran haben, dass Russland und der Iran beteilugt sind, unterstützen die westlichen Staaten die Republiken. Doch verstand es Russland geschickt, die schwelende Statusfrage und die unklare Aufteilung in nationale Hoheitsräume in seinem Sinne zu instrumentalisieren.

Setzen sich Moskau und Teheran mit ihrer Ansicht durch, käme es zur gleichmäßigen Aufteilung der Bodenschätze unter den Anrainerstaaten. Völkerrechtler halten jedoch die andere Variante für wahrscheinlicher, wonach jeder Anrainer das alleinige Förderrecht innerhalb seiner Hoheitsgewässer hätte.

Bisher konnte der Streit noch in friedlichem Rahmen gehalten werden. Ernsthafte, sogar gewalttätige Konflikte sind jedoch nicht ausgeschlossen.

Stichwort Shah Deniz I und II
Bei Shah Deniz handelt es sich um eine der größten Öl- und Gaserschließungen der Welt. 1999 wurde das Feld Shah Deniz in Aserbaidschan entdeckt. Es liegt rund 70 Kilometer südöstlich der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku offshore im Kaspischen Meer und verfügt über förderbare Gasreserven von mindestens 1,2 Billionen Kubikmetern. Technischer Betreiber des Shah-Deniz-Feldes ist die BP, die einen Anteil von 25,5 Prozent hält. Die norwegische Statoil hält den gleichen Anteil. Der Rest verteilt sich auf SOCAR (State Oil Company of Azerbaijan Republic, die staatliche aserbaidschanische Ölgesellschaft), Total, LukAgip (ein gemeinsames Unternehmen von ENI und Lukoil) und NICO (Iran) und TPAO (Türkei).

Zwei neue Förderplattformen, 26 Unterwasser-Bohrbrunnen
Anfang 2011 erklärten EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Energiekommissar Günther Oettinger und der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev gemeinsam die Absicht, das Gas aus Shah Deniz Phase II und weiteren Feldern von Baku nach Europa zu bringen.

Shah Deniz II wird voraussichtlich zwei neue Förderplattformen umfassen, die durch eine Brücke verbunden sind; 26 Unterwasser-Bohrbrunnen mit zwei semi-versenkbaren Bohrtürmen; 500 Kilometer Pipelines, die bis zu einer Tiefe von 550 Metern unter Wasser gelegt werden; und schließlich den Ausbau des 540 Hektar großen Sangachal-Terminals, der 55 Kilometer südlich von Baku liegt.

Shah Deniz II hat ein Volumen von geschätzt 25 Milliarden US-Dollar. Diese zweite Phase der Erschließung soll Gasvolumina von 16 Milliarden Kubikmeter pro Jahr (bcm) ermöglichen. Von diesen sollen 10 bcm nach Südosteuropa und die EU geliefert werden, ein kleinerer Teil in die Türkei und noch kleinere Teile in die lokalen Märkte von Aserbaidschan und Georgien.

Volle Produktion ab 2017/18
Die endgültigen Investitionsentscheidungen über die Phase II werden für 2013 erwartet, sobald die Transportwege nach Europa beschlossen sind und die Regierungen der in Frage kommenden Transitländer entsprechende Garantien gegeben haben. Die Planungen gehen davon aus, dass 2017/18 die volle Produktion der zweiten Phase erreicht wird. Die Investoren von Shah Deniz stehen daher jetzt unter erheblichem Zeitdruck, sowohl die Gaskäufer als auch die Transport-Pipelines auszuwählen.

Die drei Optionen für Gaslieferungen nach Europa
Folgende drei Optionen stehen für die Gaslieferungen nach Europa zur Entscheidung im Jahr 2013 an:
• die Transadria-Pipeline (TAP) auf der Route nach Italien
• Nabucco West mit der Gasleitung von der Grenze Türkei/Europa durch Osteuropa in den Westen
• und die Südosteuropa-Pipeline (South East Europe Pipeline, SEEP) mit einer Gasleitung durch Ungarn, Bulgarien und Rumänien.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von EurActiv – 21. 05. 2012

-> Quelle