Billigwahn zerstört
Dass „billig“ oft gerade nicht „preiswert“ ist, wissen wir längst. Trotzdem verfehlen Sprüche wie „Geiz ist geil“ oder „ich bin doch nicht blöd“ ihre Wirkung nicht. Vom altehrwürdigen Feilschen auf dem Bazar (auch bei uns ist ja inzwischen Handeln offiziell erlaubt), also vom Erzielen des günstigsten Preises geht eine Faszination aus – wir sind erst dann beruhigt, wenn wir „ein Schnäppchen“ gemacht haben, wie wir es verniedlichend nennen. Dass dahinter etwas Zerstörerisches lauert, macht Michael Carolan in seinem Buch „Cheaponomics – Warum billig zu teuer ist“ eindrucksvoll klar.
Carolan*) beginnt mit einem Widerspruch: „Heutzutage muss alles billig sein. Dann aber auch wieder nicht. Meine sechsjährige Tochter beklagte sich neulich, dass ihre Plastikspielsachen bereits kurz nach dem Kauf kaputtgingen: ‚Diese billigen Spielsachen sind aber wirklich billig!‘ Dies ist ein gutes Beispiel für die doppelte Bedeutung des Wortes: ‚billig‘ im Sinne von ’niedrig im Preis‘ und im Sinne von ’schlecht, unzulänglich'“. In diesem Sinne sei „billig“ eine gleichermaßen anzustrebende wie auch zu vermeidende Eigenschaft. (Was das Englische nicht hergibt, ist die dritte Bedeutung von „billig“ im Deutschen im Sinne von „recht und billig“, das englische „fair“ – oft ist „billig“ einfach das Gegenteil: „unfair“.)
Der Professor für Soziologie an der Colorado State University stellt seine Zusammenfassung (fast) an den Anfang des Buches (S. 29) – Punkt 7 kommt dem Leser dabei allerdings sehr bekannt vor.
„Um wichtige Punkte zu betonen und Missverständnisse zu vermeiden, beschließe ich … dieses Kapitel mit den folgenden zehn Punkten:
- Die Bezahlbarkeit billiger Waren und Dienstleistungen ist eine Illusion. Niedrige Einzelhandelspreise kommen andere Menschen – sowohl jetzt wie in Zukunft – teuer zu stehen, und zwar in Form höherer Steuern, niedrigeren Wohlbefindens, sich verschlechternder Umweltbedingungen, lebloser Gemeinschaften und in Gestalt von immer höherer Ungleichheit.
- Selbst für den Verbraucher ist die Bezahlbarkeit von Billigwaren eine Illusion. Cheaponomics fördert die Produktion kurzlebiger Ramschware, die den Verbraucher im Laufe der Zeit mehr kostet, weil er dasselbe Produkt immer wieder nachkaufen muss.
- Die Internalisierung einiger dieser Kosten verteuert Waren vielleicht kurzfristig, aber nicht langfristig, weil sie dann haltbarer (und reparierbar) hergestellt werden und die Gesellschaft sich auf den Zugang statt den Besitz einer Ware umstellt (siehe Nummer 4).
- Einen realistischeren Preis für Waren und Dienstleistungen zu bezahlen muss nicht heißen, dass man sie sich nicht mehr leisten kann. Eine bezahlbare Gesellschaft besitzt vielleicht weniger, kann sich aber mehr leisten, indem sie Konsum, Arbeit und Freizeit klüger und anders organisiert – mit kollaborativem Konsum, neuen Formen des Managements gemeinsamer Güter, Mieten statt Kaufen, saisonaler Erhältlichkeit, langlebigen Produkten, Kreislaufwirtschaft und so weiter.
- Cheaponomics beruht auf einem sehr eingeschränkten Verständnis von Effizienz: Das Cheaponomics-System ist sogar auf eine sehr ineffiziente Art effizient, da es heutige und zukünftige Generationen der Möglichkeiten beraubt, ihre Gesellschaftssysteme widerstandsfähig und lebenswert zu machen.
- Cheaponomics ist kein ‚Versagen‘ des Marktes. Dieser Begriff dient seit Jahrzehnten als rhetorisches Auffangnetz. das ein inhärent problematisches System schützen soll – er impliziert schließlich, dass der Markt die Probleme der Welt lösen könnte, wenn wir nur zu einer anderen Preisgestaltung übergingen (siehe Nummer 7). Das Versagen, das zu Cheaponomics führt, besteht in Wirklichkeit vielmehr darin, nicht weit genug über den Markt hinauszuschauen (siehe Nummer 8).
- Cheaponomics heißt, dass man von allem den Preis kennt, aber von nichts den Wert.
- Ein bezahlbares weiteres Vorgehen lässt die überlebte Debatte hinter sich, ob wir mehr oder weniger Staat oder Marktmacht brauchen, und will Prosperität auf prinzipiell anderem Weg erreichen.
- Die Räder der Cheaponomics-Maschinerie werden von zunehmender Ungleichheit geölt. Diese erleichtert es, die Kosten zu sozialisieren, und mindert gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass die finanzielle Umweltverschmutzung für ihre Verursacher negative Konsequenzen hat, denn die meisten Menschen, auf die die Kosten abgewälzt werden, sind politisch und wirtschaftlich machtlos.
- Cheaponomics besteht teilweise deshalb weiter, weil die Menschen immer noch hoffen. Sie hoffen, dass lächerliche Hungerlöhne, ein instabiler Arbeitsmarkt und geringes allgemeines Wohlbefinden durch immer billigere Güter und Dienstleistungen ausgeglichen werden können. Aber genau da liegt das Problem: Letztere sind ja nicht ohne Bezug zu Ersteren. Beide hängen in einer tödlichen Spirale miteinander zusammen. Cheaponomics ist eine todbringende Achterbahnfahrt, eine Reise zur Hölle. Es wird Zeit auszusteigen.“