„Die Geschichte klopft an unsere Tür – es liegt an uns, ob wir aufmachen!“ Eröffnungsrede Jakob von Uexkülls beim diesjährigen World Future Forum
– mit freundlicher Genehmigung des Redners –
Eine stolze Bilanz, gemischt mit bohrenden Fragen, zog der Chef des World Future Councils (WFC), Jakob von Uexküll zum Beginn des World Future Forums am 14.03.2016: Der WFC sei „keine sogenannte NGO mit unserer eigenen Agenda von Wünschen und Forderungen“. Vielmehr helfe man bei der politischen Umsetzung des zwar von Regierungen Beschlossenem, was aber oft blockiert sei „durch Unwissen über existierende Lösungen und durch mangelnde Kapazitäten der Parlamentarier, besonders in kleineren und ärmeren Ländern“. Um politischen Entscheidungsträgern zukunftsgerechtes Handeln zu erleichtern, recherchiere der WFC weltweit nach entsprechenden Politikansätzen und unterstütze deren Umsetzung.
Auch das deutsche EEG sei vorbildlich, „weil es den Ausbau der Erneuerbaren Energien am schnellsten beschleunigt“. Der WFC habe geholfen, dieses Gesetz u.a. in Großbritannien, Südafrika und Japan einzuführen. In Großbritannien habe der Energie-Minister nach eigener Aussage erst durch den WFC die nötigen Informationen bekommen – dadurch sei dort der Bau vieler Kohle- und Atomkraftwerke überflüssig geworden. In Südafrika werde der WFC gar im neuen Energie-Gesetz erwähnt.
So habe der WFC errechnet, „welches riesige Naturkapital wir verschwenden bzw. zerstören, weil wir die Erneuerbaren Energien nicht stärker nutzen – denn die Sonne und der Wind von heute sind ab morgen für die Nutzung für immer verloren.“ Der Klimawandel schreite in Afrika so schnell voran, dass ohne radikale Gegenmaßnahmen schon in den nächsten Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen von dort nach Europa aufbrechen werden müssten, weil sie zu Hause nicht mehr überleben könnten – warne der ehemalige Chef des IWF, Michel Camdessus. Uexküll: „Wie werden wir damit fertig, wenn wenige Millionen Kriegsflüchtlinge die reiche EU schon überfordern?“
Solarify dokumentiert die bemerkenswerte Rede Uexkülls
„Winston Churchill hat einmal gesagt, in einer Krise reiche es nicht, sein Bestes zu tun, sondern man muss tun, was notwendig ist. Der WFC tut, was notwendig ist: er identifiziert die besten Lösungen und hilft, sie zu verbreiten. Wo ist das weltweit beste Wald-Schutz Gesetz? In Ruanda. Das beste Gesetz zur Bewahrung der Artenvielfalt? In Costa Rica. Das beste Gesetz zum Schutz von Kindern? In Sansibar. Die besten Gesetze zum Schutz der Meere, Fische und Küsten? Im pazifischen Inselstaat Palau. Wer hat das erfolgreichste Nahrungssicherungsgesetz, welches den Hunger um 75% reduziert hat? Die brasilianische Stadt Belo Horizonte. Wir helfen jetzt, es in Namibia einzuführen.
Das effektive argentinische Gesetz zum Einsammeln von Waffen haben wir nach Bosnien gebracht. Das beste Programm zur Reduzierung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen haben wir in der US Stadt Duluth gefunden. Wir helfen jetzt, Parlamentarier aus dem Baltikum, Georgien, Kasachstan usw. sich vor Ort darüber zu informieren. Das weltweite beste Umwelt-Erziehungsgesetz aus dem US-Staat Maryland bringen wir jetzt nach Hamburg.
Alle diese Gesetze wurden mit unserem Future Policy Award ausgezeichnet, dem ersten internationalen Preis für gute Gesetze, den wir jährlich in Zusammenarbeit mit der UN und der Interparlamentarischen Union vergeben. Hierbei geht es nicht um unsere persönliche Meinung. Alle “Gewinner” wurden nach den Kriterien für Zukunftsgerechte Gesetze analysiert die ILA (International Law Association) entwickelt hat und die 2002 auf der UN-Konferenz in Johannesburg von 192 Ländern angenommen wurden.“
Der schwedisch-deutsche Politiker und Aktivist Jakob von Uexküll, 71, gründete 1980 eine Stiftung, die jährlich den Right Livelihood Award vergibt, den „Alternativen Nobelpreis“. Als finanzielle Grundlage dafür diente ihm eine Erbschaft. Von Uexküll, der in Schweden und in Hamburg aufgewachsen ist, war Mitglied des Europäischen Parlaments. 2007 gründete er mit Herbert Girardet den World Future Council mit Hauptsitz in Hamburg.
„Es gibt heute viele Organisationen, die erzählen, was alles schlecht und bedrohlich ist, und was getan werden muss. Es gibt andere, die Pflaster verteilen für einzelne Probleme und aufzählen, wie viele Pflaster eine Spende ermöglichen kann. Aber was ist, wenn die Probleme vernetzt sind und nur zusammen gelöst werden können? Was ist, wenn die Wunden so groß sind, dass Pflaster nicht mehr ausreichen, so dass die Ursachen behandelt werden müssen? Dann müssen wir in anderen Kategorien denken. Ursachen behandeln kostet mehr als Pflastern, und erfordert einen ganzheitlichen Einsatz. Wie ich oft von jungen Menschen höre, gibt ihnen der WFC die Hoffnung, dass eine positive Wende noch rechtzeitig möglich sein wird. Ob der WFC diese Hoffnungen und dieses Vertrauen erfüllen kann, hängt von ihrer Unterstützung ab!
Wir sind die Hüter aller zukünftiger Generationen von Leben, denn unsere Entscheidungen – und Nicht-Entscheidungen – werden über ihre Lebensqualität, vielleicht gar ihr Überleben entscheiden! Wir sind die mächtigsten Generationen, die je gelebt haben. Nie zuvor hatten menschliche Entscheidungen solche tiefgreifende und langfristige Konsequenzen! Unsere Verantwortung ist daher enorm.
Unsere Kinder erwarten, dass wir jetzt aktiv werden! Eine Journalistin bei der Londoner Sunday Times schrieb vor einigen Monaten, als der neue UN-Klima-Bericht erschienen war, habe sie kein Erwachsener darauf angesprochen, wohl aber ihr neunjähriger Sohn! Die Grundfrage ist heute nicht, wieviel Menschlichkeit, wieviel Umwelt und Kultur wir uns ökonomisch leisten können, sondern welches ökonomische System wir uns menschlich, ökologisch und kulturell leisten können. Die Wachstumsraten, auf denen unser derzeitiger Lebensstandard beruht, sind auf einem enormen Schuldenberg gegenüber unserer Umwelt und zukünftiger Generationen gebaut. Wir haben seit Jahrzehnten viel mehr Forderungen auf zukünftigen Wohlstand aufgebaut, als wir tatsächlich Wohlstand geschaffen haben.
Die Älteren sagen heute gern, wenn sie nicht mehr weiter wissen, jetzt sei die junge Generation dran. Wenn ich das höre, denke ich an den jungen Mann, der mitten in meinem Vortrag wütend aus dem Saal lief und rief „Thanks a lot for leaving us a world like that!“ – „Vielen Dank, dass Sie uns so eine Welt übergeben!“ – So leicht werden wir also unsere Verantwortung nicht los!
Die drohenden unumkehrbaren “tipping-points” [Kippschalter, s. Karte], die jetzt alle unsere Errungenschaften und Pläne gefährden, verlangen ernsthaftes Handeln, wenn wir nicht wollen, dass unsere Kinder und Enkel uns als egoistische Wahnsinnige sehen, die Risiko-Hierarchien nicht begriffen haben. Denn – um ein Beispiel zu nennen – mit Geld kann man geschmolzene Gletscher nicht mehr reparieren und für Trinkwasser gibt es keinen Ersatz.
Der WFC hilft, integrierte Lösungen für zusammenhängende Krisen zu identifizieren und zu verbreiten. Wir arbeiten wie gesagt nicht an den Symptomen, sondern an den Ursachen. Daher haben wir, um eine Partnerorganisation zu zitieren, „outstanding convening power“, d.h. wir können andere zusammenbringen und effektive Allianzen schaffen, z.B. für Themen wie
- 100% Erneuerbare Energien
- Regenerative Stadt-Entwicklung oder unseren
- Global Politik Aktions-Plan, der die verschiedenen dringenden Reformen zusammenfasst, mit erfolgreichen Lösungsbeispielen.
Der Philosoph der Hoffnung, Ernst Bloch, sagte, der Preis der menschlichen Freiheit sei das Risiko , dass der große geschichtliche Augenblick auf ein zu kleines Menschengeschlecht trifft, dass der Herausforderung nicht gewachsen ist.
Die Geschichte klopft jetzt sehr laut an unserer Tür. Es liegt an jedem von uns, ob wir aufmachen!“
->Quelle: world-future-forum-2016-