Blindleistung ist ein Begriff der Elektrotechnik. Im elektrischen Energieversorgungsnetz soll Energie vom Erzeuger zum Verbraucher übertragen werden. In mit Einphasen- bzw. Dreiphasenwechselstrom (Drehstrom) betriebenen Netzen fließt häufig mehr Energie zwischen dem Erzeuger (Kraftwerk) und einem elektrischen Verbraucher (beispielsweise elektrische Maschine), als in derselben Anzahl von Perioden im Verbraucher umgesetzt wird. Diese zusätzliche Energie pro Zeit, die nichts zur Wirkleistung („tatsächlichen Leistung“) beiträgt, ist im Allgemeinen unerwünscht und wird als Blindleistung bezeichnet.
Als Erklärmodell für Blindleistung kann man die Einnahmen und Ausgaben eines fiktiven Betriebes betrachten: Im Januar nimmt er 10.000 Euro ein, im Februar fallen Ausgaben von 10.000 Euro an. In den folgenden Monaten wiederholt sich das Ganze. Trotz monatlich 10.000 Euro Kontoumsatz ist der durchschnittliche Gewinn gleich Null – reine Blindleistung, könnte man sagen. Doch wie entsteht so etwas im Wechselstromnetz?
Wie entsteht Blindleistung?
Beim Gleichstrom sind die Verhältnisse noch einfach: Leistung ist das Produkt aus Spannung und Stromstärke. Beim Wechselstrom liegen die Dinge jedoch komplizierter, denn Stärke und Richtung von Stromfluss und Spannung ändern sich hier regelmäßig. Im öffentlichen Stromnetz haben beide einen sinusförmigen Verlauf mit einer Frequenz von 50 bzw. 60 Hertz. Solange Strom und Spannung „in Phase“ sind, also quasi im Gleichschritt schwingen, ergibt das Produkt der beiden pulsierenden Größen eine ebenfalls pulsierende Leistung mit positivem Durchschnittswert – reine Wirkleistung (Abb. 1a).
Abb. 1a: Ohne Phasenverschiebung ergibt das Produkt aus Strom i und Spannung u eine pulsierende, aber immer positive Leistung – reine Wirkleistung.
Sobald aber die sinusförmigen Verläufe von Strom und Spannung gegeneinander verschoben sind, ergibt ihr Produkt eine Leistung mit abwechselnd positivem und negativem Vorzeichen. Im Extremfall sind Strom und Spannung zeitlich um eine Viertelperiode verschoben: Die Stromstärke erreicht ihren Maximalwert immer dann, wenn die Spannung Null beträgt – und umgekehrt. Das Ergebnis: Reine Blindleistung, die positiven und negativen Leistungsanteile heben sich vollständig auf (Abb. 1b).
Abb. 1b: Bei 90 Grad Phasenverschiebung zwischen Strom i und Spannung u ergibt sich abwechselnd positive und negative Leistung mit dem Durchschnittswert Null – reine Blindleistung.
Die angesprochene Verschiebung nennt man auch Phasenverschiebung, wobei sie naturgemäß zwei Richtungen haben kann. Sie entsteht, wenn sich Spulen oder Kondensatoren im Wechselstromkreis befinden – und das ist eigentlich immer der Fall: Alle Motoren oder Transformatoren enthalten Spulen (sorgen für induktive Verschiebung), Kondensatoren (sorgen für kapazitive Verschiebung) sind ebenfalls häufig anzutreffen.
Aber auch mehradrige Stromkabel wirken wie ein Kondensator, während man Hochspannungsfreileitungen als extrem langgezogene Spulen betrachten kann. Damit ist klar: Ein bestimmtes Maß an Phasenverschiebung und damit an Blindleistung lässt sich in Wechselstromnetzen kaum vermeiden.